Die globale Anti-Kriegsbewegung wirkt als Bindeglied

Irak-Krieg und Weltsozialforum

Interview mit Leo Gabriel

Zeitschrift von "amnesty international Schweiz" - Mut und Hoffnung/Dossier

«Das Letzte, was stirbt, ist die Hoffnung», ist der Friedensaktivist Leo Gabriel überzeugt, der kurz vor Kriegsausbruch noch in den Irak reiste um zu vermitteln. An der diesjährigen Delegiertenversammlung der Schweizer Sektion von Amnesty International gewährte er einen Einblick in das Herz der weltweiten Friedensbewegung.

«AMNESTIE!»: Leo Gabriel, im März sind Sie als Delegierter des Weltsozialforums in den Irak gereist. Ist aus dem Weltsozialforum eine Friedensbewegung geworden?

LEO GABRIEL: Das Weltsozialforum ist ein Netzwerk verschiedener Organisationen mit unterschiedlichen Themen und Ausrichtungen. Allerdings ist uns gegen den Krieg im Irak bisher die grösste Mobilisierung gelungen. Das Forum hat aber deswegen von seiner Breite nichts eingebüsst.

A.: In der Schweiz hängen seit dem 15. Februar 2003 an vielen Häusern die regenbogenfarbenen Friedensfahnen mit der italienischen Aufschrift PACE....

LG.: Der 15. Februar 2003 wurde im November in Florenz als Tag der weltweiten Mobilisierung gegen den Krieg festgelegt. Die ursprüngliche Idee einer Generalmobilisierung stammt von den englischen Netzwerken, die eine führende Rolle in der Anti-Kriegsbewegung inne haben. Mir ging es von Anfang an eher darum, eine Solidaritätsbewegung aufzubauen, nicht mit Saddam Hussein natürlich, sondern mit dem irakischen Volk. Die Sache hat dann immer weitere Kreise gezogen.

A.: Seit Vietnam hat es keine so riesigen Friedensdemonstrationen mehr gegeben wie am 15. Februar und danach. Woher kommt die Bereitschaft der Menschen, jetzt wieder auf die Strasse zu gehen?

LG.: Es haben sich Leute mit ganz verschiedenen Beweggründen zusammengefunden. Natürlich ist die Gewaltfrage eine Grundsatzfrage. Darüber hinaus hat sich die Situation im Irak zum Beispiel vermischt mit der Sorge, was ein amerikanischer Angriff auf Irak auslösen könnte ­ ich denke zum Beispiel an eine Zunahme von Terrorattentaten. Schliesslich gibt es innerhalb der Bewegung nationale und kulturelle Unterschiede: Während die Engländer sehr militant auftraten in der Meinung, man dürfe nicht über den Kriegsstopp hinausdenken, kamen die Italiener und die Franzosen eher von den sozialen Bewegungen und den Gewerkschaften her.

A.: Wird das absehbare Ende des Krieges dazu führen, dass der Protest auf der Strasse verstummt?

LG.: In den jüngsten Demonstrationen wenden sich die Menschen nicht mehr gegen den Krieg, sondern gegen die USA als neokolonialistische Besetzungsmacht. Aus der Optik Lateinamerikas hat sich daran in den letzten 500 Jahren nichts geändert.

A.: Wie geht es weiter ­ gibt es innerhalb der Friedensbewegung konkrete Pläne?

LG.: Im Augenblick gibt es verschiedene Vorschläge und wir werden sie bei unserem nächsten Treffen besprechen. So vertreten etwa die Spanier die Idee eines Generalstreiks oder die Engländer die Idee, Erdölfirmen zu boykottieren. Ich persönlich bin der Meinung, dass wir uns mit der Zivilgesellschaft in Syrien, Iran und Irak kurzschliessen sollten. Unsere Bewegung soll keine westliche Bewegung sein, die sich «für die anderen» einsetzt, ohne mit ihnen zusammenzuarbeiten. Im Moment bin ich auch daran, eine neue Kampagne ins Leben zu rufen, mit der wir die Einberufung einer Sondersitzung der Uno-Generalversammlung fordern.

A.: Die USA haben die Uno mit dem Krieg gegen den Irak übergangen. Wieviel Tatkraft trauen Sie der Generalversammlung überhaupt noch zu?

LG.: Die meisten Staaten waren im Vorfeld gegen diesen Krieg. Eine andere Frage ist, ob sie es auch nach dem für die USA positiven Kriegsverlauf noch wagen, den Vereinigten Staaten auf die Zehen zu treten. Wir sind der Meinung, dass die Uno ihre Rolle nicht nur bezüglich des Wiederaufbaus des Irak definieren muss, sondern dringend die Geschehnisse evaluieren sollte. Der Krieg ist völkerrechtswidrig und verstösst gegen die Genfer Konventionen. Ich persönlich bin zu realistisch um zu glauben, dass man Präsident Bush vor den Internationalen Strafgerichtshof stellen kann. Doch eine eindeutige Position der Uno würde die USA zumindest in die Defensive treiben.

A.: Die Uno könnte aber auch ein zweites Mal von den USA desavouiert werden, was für sie eine erneute Niederlage bedeuten würde. Woher nimmt Ihre Bewegung die Hoffnung, dass ihre Aktionen etwas bewirken?

LG.: Ich habe aus Lateinamerika, wo ich lange lebte, zwei Sprichwörter heimgebracht. Das eine lautet: «Das Letzte, was stirbt, ist die Hoffnung», das andere: «Der schlimmste Kampf ist der, den man nicht führt». Das Prinzip des Weltsozialforums besteht eben gerade darin, dass wir auf allen Ebenen nichts unversucht lassen. Bei aller Vielfalt innerhalb des Forums gilt für alle Organisationen nur ein einziger dogmatischer Grundsatz: «Eine andere Welt ist möglich.» Wer von Anfang an sagt, eine Idee funktioniere sowieso nicht, hat bei uns nichts verloren. Uns hält ja gerade der Grundgedanke zusammen, dass wir es versuchen müssen!

A.: Das Weltsozialforum ist ein Zusammenschluss der Zivilgesellschaft, wie es ihn in der Geschichte der Menschheit noch nie gegeben hat. Wo sehen Sie den Platz von Amnesty International in diesem weltweiten Netzwerk?

LG.: Ich denke, die Organisation ist schon dabei, einen Platz zu finden. So waren Vertreter von Amnesty International im letzten Herbst stark beteiligt an der Organisation des Europäischen Sozialforums und in England arbeiten die Antikriegsnetzwerke gut mit AI zusammen. Ich bin sicher, dass dieser Prozess weitergehen wird, gerade jetzt, wo AI sich in ihrem Tätigkeitsbereich den wirtschaftlichen und sozialen Rechten geöffnet hat.

A.: AI öffnet sich sozialen Fragen, das Weltsozialforum öffnet sich Menschenrechtsfragen. Nähern die verschiedenen Organisationen der Zivilgesellschaft sich in ihren Themen gegenseitig an?

LG.: Ja, es entsteht eine Art Konvergenz. Die Arbeitslosenbewegungen standen früher in Konkurrenz mit den Gewerkschaften, heute arbeiten sie zusammen. Die ökologischen Bewegungen werden zusehends zu Solidaritätsbewegungen. Die Erfahrung der globalen Anti-Kriegsbewegung wirkte wie ein Bindeglied und als Auslöser, sich auch anderen Problemkreisen zu stellen. Unsere Hoffnung, dass auf internationaler Ebene eine Art politisches Subjekt entsteht, nimmt Gestalt an. Das sind nicht immer die gleichen Vertreter, aber im Grossen und Ganzen ist es schliesslich die gleiche Kraft.

Leo Gabriel

Der Österreicher Leo Gabriel ist Ethnologe, Filmer und Friedensaktivist und hat 25 Jahre in Lateinamerika gelebt. Als Vertreter von Euromarsch und Südwind-Österreich war er Mitinitiator des Weltsozialforums und einer der Organisatoren des Europäischen Sozialforums in Florenz. Im März dieses Jahres organisierte er eine Friedensmission in den Irak, an der sich bekannte Aktivisten aus verschiedenen Ländern weltweit beteiligten. Die Delegation traf FriedensaktivistInnen, irakische Behörden, Uno-Vertreter und Vertreter der irakischen Bevölkerung. Sie richtete folgende fünf Forderungen an die betroffenen Regierungen:

Den Krieg zu stoppen

Das Uno-Embargo aufzuheben

MenschenrechtsbeobachterInnen im Irak zu stationieren

Konflikt-Mediationen zuzulassen

Im Irak föderale staatliche Strukturen aufzubauen

Für weitere Informationen: http://www.worldsocialforum.org, http://www.weltsozialforum.org; http://www.euromarches.org; http://www.focusweb.org

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