Der Kampf um demokratische Kontrolle
Susan George im Interview (21.10.2000)
Forderung nach demokratischer Kontrolle internationaler Finanzorganisationen
und -märkte findet immer mehr Anklang.
Frage: Frau George, warum wächst ATTAC, die von Frankreich ausgehende
internationale Bewegung für eine demokratische Kontrolle der globalen Finanzmärkte
und Institutionen zur Zeit so rasant?
Susan George: Sie wissen ja, daß wir die Einführung einer Tobin-Steuer
auf internationale Finanzspekulation und die demokratische Kontrolle der Finanzmärkte
fordern. Unter dem Einfluß der neoliberalen Globalisierungswelle ist die
Kluft zwischen Arm und Reich weltweit gewachsen. Die ökonomische Macht
wird in wachsendem Ausmaß in den Händen von undemokratischen Institutionen
wie IWF und Weltbank konzentriert. Deswegen rufen wir zum Kampf für die
demokratische Kontrolle dieser Instanzen auf. Wir wollen auch die Schulden der
Länder des Südens streichen. Außerdem kämpfen wir für
den Erhalt des Sozialstaates und der öffentlichen Rentenversicherungssysteme.
Und solche Forderung finden starken Anklang, nicht nur in Frankreich.
F.: Die Forderung nach einer Tobin-Steuer ist nicht neu ...
S.G.: Richtig. Bereits 1972 diskutierte James Tobin diese Steuer in Fachkreisen.
1978 präsentierte er den Vorschlag, eine solche Steuer global einzuführen.
Bis heute ist allerdings nicht ernsthaft darüber diskutiert worden. Tobin
war übrigens keineswegs ein Radikaler. Seine Idee lief darauf hinaus, die
Spekulation einzudämmen. Zu seiner Zeit belief sich die Währungsspekulation
auf ungefähr 81 Millionen Dollar pro Tag. Heute hat sie ein Volumen von
über 1,5 Billionen Dollar erreicht, pro Tag. Wir haben also eine völlig
andere Ausgangslage.
F.: Sie haben in Ihrem Vortrag auf der Stockholmer Konferenz der Eurolinken
davon gesprochen, daß viele bislang politisch inaktive Menschen durch
ATTAC aktiviert worden sind. Wer sind die typischen ATTAC-Mitglieder?
S.G.: Eigentlich kann man nicht von "typischen Mitgliedern reden.
Wir haben äußerst unterschiedliche Menschen erreicht. Besonders deutlich
ist, daß viele Frauen in ATTAC aktiv sind. Viele unserer lokalen Vorsitzenden
sind Frauen. Wir haben auch eine sehr gute Beziehung zu den Gewerkschaften,
unter anderem zur CGT. Wir sind ganz einfach eine Bewegung für diejenigen,
die sich um die Zukunft der Gesellschaft Sorgen machen. Vielleicht reagieren
die Leute auch darauf, daß wir eine neue Art von Organisation sind. Allerdings
habe ich die Mitglieder, die ich getroffen habe, nicht nach ihrem sozialen Hintergrund
gefragt. Ich muß auch zugeben, daß wir es bislang nicht geschafft
haben, Immigranten zu engagieren.
F.: Im letzten Jahr erregten die Proteste gegen die "Milleniumsrunde
der Welthandelsorganisation WTO in Seattle weltweit Aufsehen. War Seattle ein
Wendepunkt auch für ATTAC?
S.G.: Nein, das glaube ich nicht. ATTAC wurde lange vor Seattle gegründet.
Die Proteste dort haben uns jedoch weitergeholfen. Wie waren aber nicht von
grundlegender Bedeutung für unseren Erfolg. Es sind ja die ganze Zeit über
Sachen geschehen, die uns neue Mitglieder beschert haben, so der Kampf gegen
das Multilaterale Investmentabkommen (MAI). Allerdings hatte Seattle den Effekt,
daß unsere Proteste in den Medien sichtbar geworden sind. Leute wie ich
selbst haben dadurch mittlerweile ein Forum in der Presse bekommen. Die Medien
haben mit anderen Worten anerkannt, daß neben dem Staat und den transnationalen
Konzernen ein neuer Player aufgetaucht ist. Und die Proteste haben auch den
Effekt, daß der Globalisierungswiderstand in zunehmendem Maße international
vernetzt wird. Dabei ist natürlich das Internet von großem Nutzen.
Seattle z.B. wäre ohne Internet in dieser Form nicht möglich gewesen.
F.: Wenn man ATTACs Aktivitäten in Frankreich verfolgt, fällt besonders
auf, daß Intellektuelle wie Ignacio Ramonet, Bernard Cassen oder Pierre
Bourdieu eine wichtige Rolle spielen. Könnten Sie das Verhältnis zwischen
der Basisbewegung und den Intellektuellen näher beschreiben?
S.G.: Es ist ja in Frankreich im Gegensatz zu vielen anderen Ländern
eine alter Tradition, daß sich die Intellektuellen in die Politik einmischen.
Mir ist das sehr sympathisch. Für ATTAC ist der Dialog zwischen der Forschung
und der politischen und sozialen Bewegung sehr wichtig. Wir haben enge Kontakte
zu anti-neoliberalen Ökonomen in der gesamten Welt. Das ist eine wichtige
Hilfe für unseren Kampf. Was meiner Meinung nach gerade ATTAC auszeichnet,
ist jedoch weniger das Engagement der Intellektuellen, sondern der unglaubliche
Wissenshunger unserer Mitglieder. Wir organisieren Studienzirkel und ambitionierte
Seminare, die von "gewöhnlichen Leuten mit einem erstaunlichen
Enthusiasmus besucht werden.
F.: In den kommenden Tagen wird Prag Proteste gegen das dortige IWF-Weltbank-Treffen
erleben. Was steht weiter auf dem ATTAC-Programm?
S.F.: Neben Prag ist natürlich das Spitzentreffen der EU-Regierungschefs Anfang Dezember in Nizza ein wichtiges Datum für uns. Aber wir richten unseren Blick auch wieder über Europa hinaus. Im nächsten Jahr wird im brasilianischen Porto Alegre der globale Sozialgipfel von ATTAC-Brasilien und anderen Kräften organisiert werden.
Interview: Jochen Reinert, Henning Süssner
Zur Person:
Susan George ist Direktorin des Amsterdamer Transnationalen Instituts und
Vizevorsitzende der französischen ATTAC-Bewegung zur demokratischen Kontrolle
der Finanzmärkte. Die aus dem amerikanischen Ohio stammende George lebt
sie 1965 in Frankreich und ist seit Jahren eine der schärfsten Kritikerinnen
des globalen Neoliberalismus. Sie wurde u.a. durch ihr Buch "Der Schuldenbumerang
über die globale Schuldenkrise bekannt.
ATTAC
ATTAC - die "Association pour une Taxation des Transactions financieres
pour l'Aide aux Citoyens (Vereinigung für eine Besteuerung finanzieller
Transaktionen zu Gunsten der Hilfe für Bürger) - wurde am 3. Juli
1998 in Paris gegründet. ATTAC hat in Frankreich mittlerweile 25.000 Mitglieder,
die in 150 regionalen oder lokalen Verbänden organisiert sind. Ende 1998
wurde das internationale ATTAC-Netzwerk in Paris gegründet. Inzwischen
gibt es ATTAC in 17 Ländern. ATTAC bekämpft die wachsende Macht transnationaler
Konzerne und internationale Organisationen wie IWF, Weltbank und WTO. 1998 brachte
die französische Regierung nach Massendemonstrationen, die von ATTAC organisiert
wurden, das Mulitlaterale Investitionsabkommen (MAI) durch ein Veto zu Fall.
ATTAC fordert eine globale "Tobin-Steuer auf spekulative Devisenumsätze.
Diese Steuer geht auf einen 19789 veröffentlichten Vorschlag des amerikanische
Wirtschaftswissenschaftlers und Nobelpreisträgers James Tobin zurück.
Kurzfristig angelegte Transaktionen in andere Währungen sollen besteuert
werden, um Devisenspekulationen einzuschränken. Eng verbunden mit ATTAC
ist ein wissenschaftlicher Rat, der die Verbindung zwischen Forschung und Bewegung
garantieren und die Hegemonie der neoliberal inspirierten akademischen Forschung
brechen soll.
aus: "Volksstimme" v. 21.10.2000, S. 3
teilweise abgedruckt in "Rundbrief" Nr. 99, 11/2000, Begegnungszentrum
für aktive Gewaltlosigkeit, Bad Ischl
Kommentare von Matthias Reichl:
Weltweites ATTAC-Netzwerk mit Zentrum Paris (11/2000)
Susan George, mit der wir seit der Anti-MAI-Kampagne vor gut drei Jahren kooperieren,
und die in ATTAC-Frankreich mitarbeitet, hat uns in einem e-mail ihre Dimension
skizziert und diese als Gastreferentin bei der Wiener ATTAC-Veranstaltung erläutert:
"...Wir sind nicht allein eine Bewegung für die Tobin Tax und gegen
"Steueroasen", auch nicht nur für die Streichung der Finanzschulden
der 'Dritten Welt', sondern auch gegen die weltweite Machtübernahme durch
den Internationalen Währungsfond (IMF), die Weltbank (WB), die Welthandelsorganisation
(WTO) und generell durch transnationale industrielle und finanzielle 'corporations'
(Konzerne...)..."
Dies entspricht auch unseren Zielen als Mitinitiatoren von ATTAC-Österreich
und jenen der beteiligten Sozial- und enwicklungspolitischen Bewegungen, wie
z.B. der Erhalt des Sozialstaates und der öffentlichen Rentenversicherungssysteme.
Dabei akzeptieren und unterstützen wir auch oben skizzierten finanzpolitischen
Schwerpunkte. Unser Beitrag dazu liegt vor allem in die österreichweite
Verbreitung von Informationen per e-mail-Verteiler - aus den Anti-WTO- und Sozialbewegungen
mit ihren alternativen Experten.
Der Globalisierung entgegentreten (3/2001)
Als einer der Mitinitiatoren des Netzwerkes ATTAC-Österreich halte ich es vier Monate nach dem ersten öffentlichen Auftreten in Wien für notwendig, die ursprünglichen Ziele und Erwartungen mit der Realität zu vergleichen.
Die Arbeitsschwerpunkte von ATTAC-Österreich, die sich zurzeit auf die Tobin-Tax und auf andere Steuer- und Pensionsfragen konzentrieren, sind sicher ein wichtiger Teil der WTO-kritischen Bewegungen. Ähnlich der umfassenderen Konzeption der Gründer von ATTAC-Frankreich (www.attac.org) - und damit ATTAC-International - sowie ihres Brüssler Zweiges (die ich beide in ihrer Arbeitsweise kennengelernt habe), stelle auch ich mir unsere Orientierung vor. Beide beteiligen sich aktiv an den internationalen Protestbewegungen gegen WTO und die "Globalisierung" in möglichst allen betroffenen Bereichen - auch wenn dies angesichts der Komplexität oft Schwierigkeiten bei der Entscheidung für bestimmte Problembereiche bereitet. Diese Ziele habe ich - gemeinsam mit Susan George von ATTAC-Paris und österreichischen Aktivisten - auch am Anfang der ATTAC-Beratungen eingebracht (siehe "Rundbrief" Nr. 99, S. 14-15). Leider finde ich in der derzeitigen österreichischen Diskussion - auch auf der homepage <http:// www.attac.org/austria> und im e-mail-netz - nichts darüber.
Gerade die fatalen Entwicklungen auf dem liberalisierten Nahrungsmittel- (v.a.
Fleisch-)markt zeigen, dass ein Umsteuern auf dem Finanzbereich allein nicht
rasch und tiefgreifend genug wirkt. Selbst wenn es gelingen sollte, relevante
Gelder durch eine Besteuerung von Finanztransaktionen locker zu machen, besteht
die große Gefahr, dass diese wieder durch die Regierungen und ihnen nahestehende
Institutionen (z.B. die UNO) zum Stopfen von Budgetlöchern und zum - unzureichenden
- "Katastrophenhilfe" zur Bewältigung von Folgen einer verfehlten
Politik (siehe oben) abgezweigt werden, statt sie für die Finanzierung
von Alternativen und Basisprojekten zur Verfügung zu stellen. Ähnlich
enttäuscht wurden unsere Hoffnungen auf eine "Friedensdividende"
als Folge der Abrüstung und auf Zuwendungen aus der "Ökosteuer".
Statt dessen werden die ohnehin geringen Subventionen weiter gekürzt -
auch bei den Entwicklungsprojekten. So ist auch die wesentlich illusionlosere
und daraus entstehende radikalere Einstellung der in Porto Alegre beim Weltsozialforum
versammelten Basisaktivisten zu erklären.
Aus "Rundbrief" Nr. 99, 11/2000, bzw. Nr. 100, 3/2001, Begegnungszentrum
für aktive Gewaltlosigkeit, Bad Ischl
http://www.attac.org (Internationales Büro Paris)
http://www.attac.org/austria
(Published on the internet by Matthias Reichl 29.01.2002)
siehe auch THE GENOA PROTESTS