Kann es einen Dialog zwischen Vertretern der Globalisierung und ihren Kritikern bzw. Gegnern auf gleicher Ebene geben? In Österreich wurde dies erstmals am Rande des "Europäischen Wirtschaftsforums" des WEF in Salzburg versucht. Eine Plattform - darunter ATTAC Österreich - hatte dies organisiert. Claudia beschreibt präzise die grundsätzlichen Differenzen und (Qualitäts)Unterschiede, die meine Skepsis von Anfang an bestätigen. Eine Fortsetzung im kommenden Jahr scheint uns unter diesen Bedingungen schwer vorstellbar. Wer unter den WEF-Vertretern wäre bereit, die "Segnungen der westlichen Zivilisation" grundsätzlich infrage zu stellen?
Matthias Reichl
Selbsternannte Heilsbringer propagieren die Globalisierung.
Zum Streitgespräch von GlobalisierungsgegnerInnern mit dem WEF am
2.7.2001 in Salzburg
Claudia von Werlhof
9.8.2001
Bei der ersten öffentlichen Auseinandersetzung zwischen Globalisierern
und Globalisierungsgegnern in Österreich habe ich auf Seiten der GlobalisierungsgegnerInnen
teilgenommen. Die dabei gemachten Erfahrungen möchte ich hier kurz reflektieren.
1. Die Argumente von GegnerInnen und BefürworterInnen blieben im wesentlichen
undiskutiert nebeneinander stehen. Dies lag vor allem daran, dass die BefürworterInnen
die Kritik der GegnerInnen überhaupt nicht auf sich bezogen.
2. Die BefürworterInnnen versuchten im Gegenteil, die Kritik zu vereinnahmen,
indem sie sich selbst als KritikerInnen darstellten. Motto: Auch wir sehen Probleme,
aber wir sind an ihrer Lösung dran. Von dieser Seite gab es selbstredend
keine Infragestellung der Globalisierung selbst. Ein Befürworter, der Global
Player Percy Barnevik, drehte den Spieß sogar noch um. Sein Motto: Die
Probleme mit der Globalisierung rühren daher, dass es nicht zu viel, sondern
zu wenig Globalisierung gibt.
Abgesehen vom Zeitmangel durch die viel zu große Besetzung des Podiums
mit 9 Personen (4 BefürworterInnen, 4 GegnerInnen und ein Moderator) hat
mich an dieser Diskussion etwas besonders gestört: Das blütenreine
Gewissen der GlobalisierungsbefürworterInnen.
Wie ist es möglich, dass ein Barnevik sagen kann, er entschuldige sich
nicht dafür, lediglich am Gewinn orientiert zu sein und Globalisierung
zu definieren als "die Freiheit für meine Gruppe von Unternehmen....,
zu investieren, wo und wann sie will, zu produzieren, was sie will, zu kaufen
und zu verkaufen, wo sie will, und die möglichst geringsten Restriktionen
zu unterstützen, die aus Arbeitsgesetzen und sozialen Übereinkünften
resultieren" (1) - ohne das, wie alle anderen, als Skandal anzusehen?
Die Antwort Barneviks ist, dass die Globalisierung angeblich rund 1 Milliarde
Menschen, davon ein Drittel Chinesen, aus absoluter Armut erlöst habe.
Was sind die Grundlagen einer solchen Behauptung? Es gibt nur eine, das Messen
in Geld. In dem Moment, wo jemand an Geld kommt, und seien es auch nur Minibeträge,
gilt er als nicht mehr "absolut arm". Das Problem mit dieser Art zu
rechnen ist jedoch, dass die Kehrseite der Medaille nicht berücksichtigt
wird: Der mit der Monetarisierung fast immer einhergehende Verlust (der Kontrolle)
von Produktions- und allgemein Subsistenzmitteln, die denselben Menschen bisher
das Leben ermöglicht haben. Barnevik müsste also die Frage beantworten,
wieso er das relativ geldlose Leben als absolute Armut, das Minieinkommen eines
um seine Produktions- und Subsistenzmittel Beraubten aber als Befreiung aus
solcher Armut ansieht. Die Befragung der Betroffenen würde ziemlich eindeutig
ausfallen. Aber die interessiert Barnevik nicht, da er nur ans Geld denkt. Was
im Prozeß der "Vergeldung" sonst noch geschieht, ist für
ihn bedeutungslos.
Damit ist er aber nicht aus dem Schneider. Denn nur dadurch, dass die Menschen
(die Kontrolle über) ihre Produktions- und Subsistenzmittel verlieren,
können Barnevik & Co diese für ihre eigenen Interessen verwenden
(lassen): zur Neuentstehung von Großgrundbesitz, zur Verallgemeinerung
von Warenproduktion und zur Durchsetzung des Marktes als Weltmarkt überall.
Barnevik findet das in Ordnung, denn nur dadurch kann er selbst Geld machen,
und zwar viel. Und die Menschen könnten nun ja angeblich am Markt kaufen,
was sie vorher selber produziert haben, bzw. was Barnevik & Co ihnen an
dessen statt inzwischen anbieten.
Die Sache hat vor allem einen Haken: sie stimmt nicht. Susan George, ebenfalls
auf der Seite der GlobalisierungsgegnerInnen, sagte daher, dass eine wachsende
Zahl von Menschen sich gar nicht mehr am Markt beteiligen könnten. Bereits
50%, in 20 Jahren etwa 70%, befänden sich außerhalb des Marktes,
und war nicht "noch", sondern schon. Mit anderen Worten, gerade die
absolute Armut wird mit der Globalisierung erst geschaffen. Sie ist der Zustand,
in dem die Leute weder Produktions- und Subsistenzmittel, noch auch nur annähernd
ausreichende Geldeinkommen haben. Das Geldeinkommen ist so gering, dass es sie
nicht befähigt, wirklich am Markt nachzufragen.
Was würde Barnevik also sagen, wenn man ihn mit diesen von ihm ausgelassenen
Zusammenhängen konfrontieren würde? Er würde vermutlich sagen,
dass die Globalisierung Einkommen und Beschäftigung auf die Dauer weltweit
steigern würde. Nur, beweisen könnte er das nicht. Im Gegenteil, die
Konzerne der Global Players beschäftigen derzeit nur 1-2 % aller Lohnempfänger
und vernichten ununterbrochen Millionen von kleineren und mittleren Unternehmen,
nämlich genau die, die bisher für die meiste Beschäftigung gesorgt
haben. Und außerdem zahlen gerade die für die Konzerne produzierenden
Plantagen, Sweatshops, Puffs und "freien Produktionszonen" nicht "noch",
sondern inzwischen nur noch Löhne von 1-2 Dollar am Tag, sodaß auch
außerhalb der südlichen Länder, z.B. in den USA selbst, von
einer "neuen Sklaverei" gesprochen wird, die weltweit inzwischen für
Hunderte Millionen Menschen gelten soll (2). Hier endet das Argument von Barnevik,
der ja selbst dafür ist, nur "die möglichst geringsten Restriktionen
.... aus Arbeitsgesetzen und sozialen Übereinkünften..." in Kauf
nehmen zu müssen. D.h., er sorgt selbst dafür, dass es auch in Zukunft
nicht besser wird. Im Gegenteil, die Globalisierer gingen zunächst in den
Süden, um die Kosten für Arbeit - die einzigen weltweit noch verbliebenen
"komparativen Kostenvorteile" - auszunutzen (3), um anschließend
die drastische Verringerung der Arbeitskosten nach und nach auch im Norden durchzusetzen.
Die empirisch zu beobachtende Gleichzeitigkeit von Globalisierung und Verelendung,
Krieg und Entdemokratisierung findet auf diese Weise eine Erklärung. Die
"Argumentation" von Herrn Barnevik und sein reines Gewissen beruhen
also darauf, dass er die tatsächlichen Zusammenhänge nicht zur Kenntnis
nimmt. Er kann daher auch so tun, als sei er ganz "unideologisch"
- selbstredend im Gegensatz zu den Globalisierungskritikerinnen. Er setzt eben
alles auf eine Karte, das Geld bzw. den "Markt". Bloß, auch
dahinter steckt eine Theorie, nämlich die des Monetarismus von Milton Friedman,
Friedrich von Hayek und den "Chicago Boys", die für die Premiere
des globalen Neoliberalismus in den 70iger Jahren den Diktator Augusto Pinochet
in Chile installiert hatten. Diese hinter der Globalisierungspolitik stehende
ökonomische Theorie, die Gewaltsamkeit ihrer politischen Durchsetzung,
ihr totalitärer Charakter und ihre Folgen in Gestalt der Schaffung von
Reichtum für einige und von Armut für fast alle sind zwar für
die Global Players, nicht aber für die Mehrheit der Menschen von Vorteil,
und zwar auf Dauer. Daran kann überhaupt kein Zweifel mehr bestehen. Herr
Barnevik muß also so tun, als hätte er keine Theorie, um zu verhindern,
mit den Voraussetzungen und Folgen seines Denkens konfrontiert zu werden. Dazu
gehört im übrigen auch das bewusste Auslassen historischer Vergleiche,
das es ermöglicht, nicht erkennen zu müssen, wie sehr sich Globalisierung,
Kolonialismus und Imperialismus einander gleichen, nur dass dieser Prozeß
heute wirklich nichts und niemanden mehr ausläßt, auch die Erfinder
dieser Welt-Wirtschaft, die westlichen, bzw. nördlichen Industrieländer
selbst nicht. Auch sie werden zur "Kolonie der Konzerne", eben weil
Globalisierung genau das bedeutet, was Herr Barnevik darunter versteht.
Der Entzug der Argumentationsbasis und des guten Gewissens kann also einmal
auf der Grundlage von Wissen und Information erfolgen. Dazu gehört natürlich
auch, dass man darüber hinaus den Beweis für die bewußte Bösartigkeit
des Globalisierungsprojekts liefern kann. Z.B. das berühmt-berüchtigte
MAI, das "Multilaterale Abkommen über Investitionen", wurde nicht
zufällig im Geheimen verhandelt und sollte gar nicht an die Öffentlichkeit
kommen. Dies geschah, weil das MAI, das später am Einspruch Frankreichs
und der weltweit beginnenden zivilgesellschaftlichen Antiglobalisierungsbewegung
scheiterte, in der Tat die Legalisierung des Plünderungsfeldzugs der Konzerne
durch die Welt vorsah. Dazu wäre es eine Art "Ermächtigungsgesetz"
in Gestalt einer totalitären Weltverfassung gewesen (4). Auch die Politik
von OECD, WTO, IWF und Weltbank, die zum Zusammenbruch ganzer Volkswirtschaften
und zu millionenfachem Tod - zumal von Kindern, wie UNICEF feststellt - durch
Elend, Hunger und Krieg in aller Welt geführt hat, ist ja nicht auf Naivität
oder Irrtum zurückzuführen (5). Daneben stellen die langjährige
Planung und Durchführung von bewaffneten Konflikten in aller Welt oder
die Zerschlagung Jugoslawiens und der Krieg am Balkan, also eines neuen Krieges
mitten in Europa, ja wohl keine menschenfreundlichen Akte dar, obwohl (oder
weshalb) sie genau als solche propagiert wurden: als "humanitäre Intervention"
(6). Das Geschäft mit dem Militarismus und nicht zuletzt Spekulation statt
Produktion - "Investition" ist fast nur mehr Fusion - können
auch nicht gerade als ein "Wirtschaften" im positiven Sinne des Wortes
angesehen werden. Daneben findet der immer offenere Angriff auf die noch bestehenden
Demokratien statt. So ist es nichts Neues, dass etwa die Amerikaner nicht unbedingt
zu den Freunden der Demokratie in den Ländern des Südens gehören.
Neuerdings wird aber auch die Demokratie im Norden z.B. von der WTO als eine
Art altmodisches Auslaufmodell, nämlich als "outmoded" bezeichnet
und der Chefberater von Margaret Thatcher, die den Neoliberalismus in England
einführte, John Gray, fand: "Globaler Freihandel und Demokratie sind
wie Feuer und Wasser" (7). Auch in Österreich wird angesichts der
neoliberalen Hochschulreform, die zum Bereich der Privatisierung der Dienstleistungen
im Zusammenhang mit den GATS-Verhandlungen der WTO stehen, inzwischen davon
geredet, dass die inneruniversitäre Demokratie die "Geschäftsfähigkeit"
der Universitäten" behindere (8). Der außenpolitische Berater
der US-Regierung der Nachkriegszeit, George Kennan, hatte schließlich
schon 1948 davor gewarnt, Illusionen über wachsenden Wohlstand und Demokratie
zu verbreiten (9). In einer Fernsehsendung, die ungefähr 2 Jahre zurückliegt,
sagte ein Mitglied der damaligen EU-Kommission: "Wenn die Leute wüssten,
worüber wir wirklich verhandeln, dann würden sie uns davonjagen!"
(bei dieser Sendung hat offenbar die Zensur versagt).
Wir können inzwischen beweisen, wann dieses Projekt, das sich Globalisierung
nennt, notwendig beendet sein wird, nämlich spätestens dann, wenn
die nicht erneuerbaren Ressourcen der Erde aufgebraucht und damit auch der bisherige
technische Fortschritt am Ende ist. Klar ist jedenfalls, und zwar unbestreitbar,
dass die westliche Art zu leben auf gar keinen Fall global möglich ist.
Ein ökologischer Kollaps wäre die unmittelbare Folge. Warum wird dann
aber dennoch ständig weiter so getan, als gäbe es "keine Alternative"
zur Ausbreitung des westlichen "way of life"? So muß gefragt
werden, wie denn eine wünschenswerte Gesellschaft überhaupt aussieht,
und ob die westliche selbst in ihren Zentren überhaupt dazugehört?
Sind wir glücklich, sind wir gesund, gehen wir liebevoll miteinander um,
sind wir so frei, uns einmal nicht um Geld und Macht kümmern zu müssen?
Sind wir tiefempfindende Menschen, haben wir ein gutes Verhältnis zu Tieren
und Pflanzen, sind wir klug, weitherzig und tolerant, kennen wir Freundschaft,
haben wir Kriminalität, Gewalt und Elend abgeschafft?
Auf der Rückseite der Zeitschrift "The Ecologist" (10) ist das Bild eines Mädchens der Jarawa abgebildet, die seit Tausenden von Jahren auf einer Inselgruppe im Indischen Ozean leben. Die Jarawa sollen jetzt von der indischen Regierung umgesiedelt werden. Das Mädchen auf dem Bild lacht fröhlich, es ist noch voller Wassertropfen, weil es gerade im Ozean gebadet hat, und in seinem Haar befindet sich eine kunstvolle Ansammlung von Muscheln. Der Text dazu lautet: "Welche Wahl hat sie in der Zivilisation"? Die Antwort ist: "Sie wird
eine Unberührbare
eine Prostituierte
eine Bettlerin
eine Dienerin
eine Süchtige oder
eine Leiche".
Mit welchem Recht zwingt man dieses Mädchen in die westliche "Zivilisation"?
Pamela Hartigan, mein Counterpart bei dem Streitgespräch mit dem WEF, Managerin der Schwab-Foundation, die den WEF in den 70er Jahren gründete, begann ihren Beitrag folgendermaßen:
"Die Geburt einer neuen Welt steht bevor!" Sie meinte damit die
globalisierte Welt, und sie sprach mit Pathos. Wie kann sie dies dem zum Trotz,
was wir wissen (können), tun? Und wie kann Herr Barnevik immer noch sagen:
"Sie brauchen doch unsere Technik!"?
Wenn wir dem guten Gewissen der Täter ein Ende bereiten wollen, müssen wir also noch etwas anderes als die pure Information, das Denken in Zusammenhängen und das Nichtauslassen der Folgen berücksichtigen: den Glauben. Zum Nihilismus des Globalisierungsprojekts gehört offenbar eine Heilsbotschaft. Sind nicht die ständigen weltweiten Großveranstaltungen von Konzernvertretern und Regierungsoberhäuptern eigentlich Propagandaveranstaltungen selbsternannter Heilsbringer, die der Öffentlichkeit suggerieren sollen, dass das, was gut ist fürs Kapital, auch gut ist für die Menschen? - wie übrigens schon einmal zur NS-Zeit. Sind propere Global Players wie Barnevik ein besserer Ersatz für gewählte Politiker und ist der WEF-Gipfel gar gedacht als Demokratieersatzveranstaltung? Die Gehirnwäsche funktioniert nur, solange noch geglaubt wird. Denn wir wissen ja,
dass Gewalt und Krieg keine Wohltaten sein können;
dass gelogen wurde, als gesagt wurde, die neoliberale Politik der Globalisierung bringe mehr Wohlstand und Demokratie für alle;
dass die Sparpakete ein Betrug sind, weil sie genau wie die Strukturanpassungsprogramme für den Süden lediglich eine Umverteilung von unten nach oben und am Ende nur den Spekulanten und der militärischen Aufrüstung dienen,
dass reaktionäre Politik keine "Reform"-Politik ist;
dass die "Privatisierung" öffentlichen Vermögens eine ersatzlose Enteignung und Beraubung der Bevölkerung darstellt;
dass es eine Verhöhnung ist, wenn als Rassismus und "Fremdenfeindlichkeit" nicht mehr der weltweite Neokolonialismus oder der Tod durch Abschiebepraktiken, sondern die Kritik an der Piraterie globaler Großkonzerne gilt;
dass die GegnerInnen der Globalisierung als Anhänger des "Protektionismus" verteufelt werden, während die Konzerne selbst eine Ergebnis der Subventionierung und des Protektionismus zu ihren eigenen Gunsten sind;
und nicht zuletzt, dass die GlobalisierungsgegnerInnen inzwischen systematisch
kriminalisiert werden, weil sie wie eine Art Ketzer nicht an das "Gute"
(Göttliche?) der Globalisierung glauben, sodaß man inzwischen auch
schon mitten in Europa gezielt auf sie schießt (Göteborg, Genua),
so als wären es nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch die Verhältnisse
der Bananenrepublik, die zu den fortschrittlichsten Errungenschaften der globalen
Modernisierung gehören.
Die totale Verkehrung der bisher (angeblich) gültigen Sicht auf die Welt
verweist auf den makaberen Zynismus der Globalisierer. Ihre Heils-Propaganda
aber steht und fällt mit dem Missionsgedanken. War es früher das christliche
Abendland, so ist es heute der "freie Markt", auch wenn er vor lauter
Monopolen längst nicht mehr existiert - oder gar nie existiert hat.
Der Missionsgedanke ist wie Pamela Hartigans Gebärphantasie über
die Geburt einer neuen Welt der Kern des Problems mit dem guten Gewissen. Denn
heute bedeutet dies, wo nicht ein McDonald´s steht, gibt es kein Essen.
Weg mit der Garküche am Straßenrand! Der heutige Missionar geht davon
aus, dass McDonald´s das Beste für alle ist, und er kommt noch nicht
einmal auf die Idee, die Betroffenen zu fragen. Und wenn er merkt, dass sie
anderer Ansicht sind, dann "erzieht" er sie - und sei es durch die
Gewalt der Fakten, die er schafft. Das Rätsel des Geheimnisses des guten
Gewissens ist: Der Abriß des Bestehenden wird nicht für Gewalt und
Verwüstung gehalten, sondern für die bloße Voraussetzung der
schönen neuen Welt des westlichen Lebensstils, genauer: des american way
of life (11). Für Percy Barnevik und Pamela Hartigan ist es nicht vorgesehen,
dass jemand etwas dagegen haben könnte. Oder dies würde als altmodische
Rückständigkeit und Unflexibilität hingestellt.
Die zentrale Frage an Barnevik und Hartigan und die anderen BefürworterInnen
der Globalisierung wäre also gewesen: Wie sie eigentlich dazu kommen, das,
was andere Leute geschaffen haben, nicht zu respektieren, ja gar zu zerstören,
und das auch noch für legitim, ja gut zu heißen? Das ist die einzige
Frage, auf die sie letztlich nicht hätten antworten können. Denn das
Denken der GlobalisierungsbefürworterInnen setzt eine Religion voraus,
in der ein Quasi-Gott existiert (der Markt und das Geld), und sie selbst als
eine Art Putzkolonne zur Säuberung der Welt von allem Nichtkonformen und
Häretischen fungieren. Sie sind also die Glorreichen, die den Dreck wegmachen
und überall schöne, saubere, helle McDonald´s hinsetzen. Wer
davon redet, dass "sie" doch unsere Technik bräuchten, erkennt
gar nicht an, dass "sie" selbst schon eine haben, die noch dazu meist
viel besser zu gebrauchen ist. Wahrscheinlich würden sich die globalen
Saubermänner und -frauen sogar davor ekeln, das Essen aus der Garküche
am Straßenrand überhaupt nur zu versuchen. Auch gefühlsmäßig
können sie mit einem Essen, das nicht von McDonald´s ist, nichts anfangen.
Ja es erscheint ihnen womöglich als gefährlich wenn nicht gar lebensgefährlich.
Und weil sie es für lebensgefährlich halten, in der Garküche
zu essen, muten sie denen, die dies bisher taten - ohne daran im mindesten gestorben
zu sein - ihre eigene, wirkliche Lebensgefährlichkeit zu - McDonald´s.
Denn ohne Garküche, aber mit McDonald´s werden viele Menschen verhungern,
und sie tun es längst. Nicht nur, weil das McDonald´s-Essen schlecht
ist, sondern auch, weil die meisten es gar nicht bezahlen können, und nun
keine andere Alternative mehr haben. McDonald`s hinterlässt nämlich
eine Leere - so wie die moderne Technik, der Weltmarkt und das am Profit orientierte
Geld - und diese nicht nur am Ort des Geschehens, sondern auch anderswo, etwa
in den Wäldern Amazoniens, die für McDonald`s gerodet werden, damit
dort für ein paar Jahre die Kühe weiden können, aus denen die
Hamburger gemacht werden, bevor schließlich das Weideland in Steppe und
Wüste übergegangen ist.... All dies ist es, was José Bové,
den französischen Bauern, dazu bewogen hat, eine im Bau befindliche McDonald´s-Filiale
mit seinem Traktor zu "demontieren" (12).
Die Fortschrittsreligion der GlobalisierungsbefürworterInnen ist ein
"alchemistischer" Wunderglaube daran, dass die laufende Annihilation
des Lebens, die rasante Naturzerstörung und die beschleunigte Vernichtung
anderer Kulturen (oder von deren Resten) kein Verbrechen darstellen, ja noch
nicht einmal etwas ausmachen, wenn nicht gar von allen Betroffenen auch noch
bejubelt werden, weil ihnen eine schöne neue Welt des technischen und sonstigen
Fortschritts nachfolgen werde. Dieser Aberglauben ist noch überall, ja
selbst bei GlobalisierungsgegnerInnen verbreitet. Immerhin ist er auch schon
ein paar Hundert Jahre alt und macht seit der Kolonisierung der Welt offenbar
unser genuin westliches Selbstverständnis aus (13). Der Unterschied zu
früher ist nur, dass nun endlich auch mit den letzten Überbleibseln
nichtwestlicher Zivilisation sowie deren gar frecher Erneuerung für immer
und ewig Schluß gemacht werden soll.
Das Streitgespräch in Salzburg hat damit das eigentliche Dilemma der
Debatte um die Globalisierung aufgezeigt, wenngleich dies an Ort und Stelle
nicht mehr formuliert werden konnte. Ich bezweifle, ob es bei uns im Westen
viele Leute gibt, die wirklich beweisen können, dass ihre "Zivilisation"
die "bessere" sei. Es glauben daran aber sicherlich immer noch die
meisten. Und nur solange das der Fall ist, können die "Charme-Offensive"
und die Umarmungsstrategie der Globalisierungs-befürworterInnen gegenüber
bestimmten Gruppen der kritischen Zivilgesellschaft zur Spaltung der letzteren
führen, anstatt dass in der Gegenbewegung gemeinsam mit der so notwendigen
Diskussion über grundlegende Alternativen begonnen wird (14) - und es sind
dies die möglichen Alternativen zur westlichen Zivilisation selbst.
Aus der Salzburger Erfahrung schließe ich, dass die Globalisierungskritik
nur dann nicht vereinnehmbar und womöglich in ihr Gegenteil verkehrbar
sein wird, wenn sie nicht mehr unter der Voraussetzung des prinzipiellen Glaubens
an die westliche Zivilisation und ihre weltbeglückende Mission geführt
wird.
Der Weg dahin liegt eigentlich auf der Hand. Er geht auch von einem Gefühl
aus, allerdings von einem ganz anderen. Es ist das Gefühl der Verantwortung
für und das Empfinden mit den von Kolonisierung und Globalisierung beeinträchtigten
Menschen und allen anderen Kreaturen weltweit, ja dem Globus selber. Dieses
Empfinden sagt uns, dass wir endlich, und zwar global, eine gewaltlose, freundliche,
egalitäre und kooperationsbereite Zivilisation haben wollen und dringendst
brauchen werden, wenn wir die Globalisierung, diese wahrscheinlich letzte und
radikalste Phase westlicher Zivilisation, überhaupt überleben wollen.
Denn eines wissen GlobalisierungskritikerInnen und -befürworterInnen vielleicht
beide - jedenfalls können sie es wissen: Die Globalisierung ist kein Projekt
von Dauer. Sie stößt bereits jetzt an die materiellen, geistigen
und seelischen Grenzen des Globus. Sie ist bereits in einer Krise und wird notwendig
scheitern. Der Neoliberalismus ist die Antwort des kapitalistischen Weltsystems
auf die Krise der profitablen Kapitalverwertung, und d.h. des unendlich gedachten
Wachstums angesichts der Endlichkeit der Welt und ihrer Ressourcen.
Wenn das MAI 20 Jahre dauern sollte, dann ist das vermutlich der Rahmen, in
dem die Global Players denken. Ein "nach uns die Sintflut" können
wir, 99,9% der Weltbevölkerung, uns aber nicht leisten. Wir müssen
anfangen, wieder am Leben orientiert, längerfristig und herrschaftsfrei
zu denken und zu handeln.
Anmerkungen
(1) Susan George: dortselbst sowie Tagesanzeiger vom 15.1. 2001
(2) Bales, Kevin: Die neue Sklaverei, München: Kunstmann 2001; Arlacchi, Pino: Ware Mensch. Der Skandal des modernen Sklavenhandels, München: Piper 2000
(3) Fröbel, F./Heinrichs, J./Kreye, O: Die neue internationale Arbeitsteilung. Strukturelle Arbeitslosigkeit in den Industrieländern und die Industrialisierung der Entwicklungsländer, Reinbek: Rowohlt 1977
(4) Mies, Maria/von Werlhof, Claudia (Hg.): Lizenz zum Plündern. Das multilaterale Abkommen über Investitionen, MAI - Globalisierung der Konzernherrschaft und was wir dagegen tun können, Hamburg: Rotbuch 1998
(5) Chossudovsky, Michel: The Globalization of Poverty, London: Zed books 1998; Netzwerk gegen Konzernherrschaft und neoliberale Politik, deutsche Ausgabe von: The international Forum on Globalization (IFG): Die Welthandelsorganisation (WTO): Unsichtbare Regierung für die Welt des neuen Jahrtausends? Eine Einführung, Analyse und Kritik, Köln 2001; Soros, George: Die Krise des globalen Kapitalismus. Offene Gesellschaft in Gefahr, Berlin: Alexander Fest 1998
(6) Chossudovsky, Michel: wie (5) sowie ders.: Washington hinter den terroristischen Anschlägen in Mazedonien, 23. Juli 2001 (englische Originalversion: http://emperors-clothes.com/articles/choss/behind.htm); Federici, Silvia: War, Globalization and Reproduction, in: Bennholdt-Thomsen, V./Faraclas, N./von Werlhof, C. (eds.): There is an Alternative. Subsistence and Worldwide Resistance to Corporate Globalization, London: Zed books 2001, S. 133-145
(7) Gray, John: Die falsche Verheißung. Der globale Kapitalismus und seine Folgen, Berlin: Alexander Fest 1999
(8) vgl. von Werlhof, Claudia: Hochschulreform als neoliberaler "Putsch"?, Vortrag beim 29. deutschen evangelischen Kirchentag 2001 in Frankfurt/Main
(9) vgl. Chomsky, Noam: Profit over People. Neoliberaismus und globale Weltordnung, Hamburg/Wien: Europaverlag 1999, S. 24
(10) The Ecologist, Vol 31, Nr. 6, Juli/August 2001
(11) Galtung, Johan: Die Welt in der Krise, in: ders. u.a.: Die Gewalt des Zusammenhangs. Neoliberalismus-Militarismus-Rechtsextremismus, Wien: Promedia 2001, S. 53-82
(12) Bové, José/Dufour, Francois: Die Welt ist keine Ware. Bauern gegen Agromultis, Zürich: Rotpunkt 2001
(13) Lapham, Lewis: Die Agonie des Mammon. Die Herrscher des Geldes tagen in Davos und erklären sich die Welt, Hamburg: EVA 1999
(14) Mies, Maria: Globalisierung von unten. Der Kampf gegen die Herrschaft der Konzerne, Hamburg: Rotbuch 2001; Bennholdt-Thomsen, Veronika/Faraclas, Nick/von Werlhof, Claudia (eds.): There is an Alternative. Subsistence and Worldwide Resistance to Corporate Globalization, London: Zed books 2001
(Put in the internet by M. Reichl 31.08.2001)