Das Verschwinden der Regenwälder könnte zu einer neuen Eiszeit führen
José A. Lutzenberger
James Lovelock (Gaia-Hypothese) hat mich in einem persönlichen
Gespräch schon vor Jahren darauf hingewiesen, dass, sollte
der Regenwald in Amazonien vernichtet werden - wenn die Wucht
der Zerstörung so weiter geht, wie bisher, könnte er
in wenigen Jahrzehnten fast total verschwunden sein; einige brasilianische
Wissenschaftler sehen als pessimistische Hypothese zwanzig Jahre,
als optimistische dreissig (!) - dann könnte das zu einem
Umkippen des Golfstroms mit Ausbrechen einer neuen Eiszeit führen.
Der Regenwald ist nicht, wie oft gesagt wird "Die Lunge der
Erde". Das ist eine falsche Metapher, Lungen produzieren
ja nicht Sauerstoff, wie da suggeriert werden soll, sie produzieren
Kohlendioxid. Der Regenwald, das trifft auch zu für die anderen
Regenwälder in Afrika, Asien und Australien, ist aber eine
gewaltige Wärmepumpe, die überschüssige Wärme
aus dem tropischen Gürtel in die höheren Breitengrade,
Nord und Süd, leitet.
Der Regenwald hat eine enorme Evapotranspiration, das ist die
Summe der Verdunstung und Veratmung. Von dem Regen, der auf den
Wald niedergeht, kommen an die 25% am Boden gar nicht an, das
genügt gerade, um das mächtige Blattwerk - bis zu 40
m hoch - nass zu machen, und verdunstet gleich wieder, sobald
die Sonne scheint. Von den 75%, die am Boden ankommen, nimmt die
Pflanze 50% auf und veratmet sie für ihren Stoffwechsel.
Nur ein Viertel des Wassers landet in den Quellen und Bächen
und geht zum Meer. Auf dem langen Weg, von Westamazonien bis zu
den Anden sind es Tausende von Kilometern, verdunstet wieder ein
Teil. Der Regenwald macht also sein eigenes Klima. Wenn es an
den Andenhängen regnet, ist es Wasser, welches zwischen sechs
und sieben mal ab und aufgegangen ist: Regen - Verdunstung, neue
Wolken - neuer Regen - neue Wolken, usw.
Das bedeutet, dass der Regenwald sehr anfällig ist. Er könnte
zusammenbrechen, lange bevor er ganz gerodet ist.
Obiger Zyklus geht vorwiegend von Ost nach West (Passatwinde).
Man kann das auf den Satellitenbildern der NASA klar sehen. Die
grossen Wolkenmassen gehen von Ost nach West. Wo sie an die Anden
prallen, teilt sich der Strom in zwei Hälften, eine geht
nach Norden, geht dann parallel zum Golfstrom bis nach Europa
hinein. Wir wissen nicht, wie weit der Golfstrom die Luftmassen,
oder umgekehrt, die Luftmassen den Golfstrom beeinflussen. Die
andere Hälfte geht nach Süden, bestimmt das Klima Zentral-
und Südbrasiliens und dann bis hinunter zum Feuerland. Ein
kleinerer Teil springt auch über die Anden.
Da nun die Niederschläge im Westen vom Regen im Osten beeinflusst
werden, könnte es sein, dass, sollte im Osten zuviel Wald
verschwinden, der grosse Wasserkreislauf zusammenbricht. Der Regenwald
ist, wenn intakt, nicht anfällig für Brände, er
ist zu feucht. Er braucht aber regelmässige Regenfälle
- fast jeden Tag. Vor zwanzig Jahren noch, war es in Manaus üblich
zu sagen: "wir treffen uns heute nach dem Regen". Das
war dann der späte Nachmittag. Das sagt heute in Manaus niemand
mehr. Inzwischen hat es dort schon Trockenperioden gegeben von
bis zu zwei Monaten. Dann wird der Wald anfällig für
Feuer. Riesige Brände gab es schon in Roraima, im Land der
Yanomani. Früher undenkbar. Beim ersten Mal brennt nur das
Unterholz, dann wird es immer schlimmer. Die brasilianische und
allgemein südamerikanische Pyromanie sind bekannt...
Kommt es im Osten zu grossen Flächen nackten Bodens oder
zu kargem Gestrüpp, dann haben wir dort, statt der gewaltigen
Evapotranspiration, heisse Aufwinde. Die vom Meer herein kommenden,
niedrig fliegenden Wolken mit ihrer grossen Wasserfracht verflüchtigen
sich. Der Regen, der einige Hundert Kilometer westlich nieder
gehen würde, verschiebt sich weiter nach Westen, ein neues
Stück Regenwald wird anfällig für Brand. Der Zusammenbruch
des gesamten Systems wäre programmiert. Heute ist der Regenwald
schon zu zwanzig Prozent zerstört, der grösste Teil
dieser Zerstörung ist im Osten.
Wie Professor Salati, USP, Universität von São Paulo
gezeigt hat, der ja, als er Direktor am INPA, Nationales Forschungsinstitut
für Amazonien, war, auch die Evapotranspiration des Regenwaldes
erforscht hat und zu obigen Zahlen kam, ist dieses Klimasystem
eine gewaltige Wärmepumpe. Aus der Thermodynamik wissen wir
ja, dass bei der Verdunstung und Kondensation von Wasser grosse
Mengen Energie umgesetzt werden. Für das Klimasystem Amazoniens
hat Salati ausgerechnet, dass der Energietransport pro Tag der
Energie von ca. sechs Millionen Atombomben (Hiroshimatyp) entspricht.
Diese Energiemenge wird also, wie oben bereits erwähnt, aus
dem tropischen Gürtel in die höheren Breitengrade Nord
und Süd transportiert, bestimmt also dort das Klima.
Zurück zu Lovelock. Wir wissen, dass unsere Sonne heute ca.30%
heisser ist als zur Zeit der Entstehung der Ozeane und dem Beginn
der präbiotischen, biochemischen Entwicklung, als die "Ursuppe"
entstand, in der dann, vor wohl dreieinhalb Milliarden Jahren,
die ersten Lebewesen mit der Komplexität von Bakterien entstanden.
Warum wurde die Erde nicht wie Venus? Dort hat ein sich selbst
verstärkender Treibhauseffekt (runaway greenhouse effect)
stattgefunden. Alles Wasser ist verdunstet, wurde dann durch harte
Einstrahlung zersetzt, der Wasserstoff ging verloren, der Sauerstoff
hat oxidiert, was oxidiert werden konnte. Es kam zu einem chemischen
Endgleichgewicht. Der Planet hat heute eine Atmosphäre, die
an die zweihundert mal schwerer ist als unsere, die zu über
neunzig Prozent aus Kohlendioxid besteht und hat eine Wolkendecke
von vierzig Kilometer Dicke, bestehend aus Schwefelsäure.
Die Temperaturen liegen zwischen vierhundert und fünfhundert
Grad Celsius.
Die Erde hätte eine ähnliche Entwicklung durchmachen
können, sie wäre nur nicht ganz so heiss, weil sie weiter
weg von der Sonne kreist, aber die Meere wären verdunstet,
das Wasser wäre verschwunden. Das ist nicht passiert, weil
das Leben, und auch schon die Ursuppe, erst Gase, wie Methan,
Ammoniak und Schwefelwasserstoff abgebaut haben, dann, als es
zur Photosynthese kam, Kohlendioxid. Die erstgenannten Gase haben
einen um das Vielfache stärkeren Treibhauseffekt als Kohlendioxid.
Ohne diese Gase, wäre die Erde vielleicht sogar am Anfang
zugefroren. Der Kohlenstoff wurde abgelagert in Form von Petroleum
und Erdgas, später als Steinkohle, Braunkohle und Torf. Ein
Grossteil wurde auch von Kleinlebewesen und grösseren Tieren,
wie Molusken und Artropoden, in Form von Karbonaten - siehe die
Dolomiten - abgelagert. Das Leben hat also im Laufe der Entwicklung
Treibhauseffekt abgebaut in dem Masse, wie die Sonne wärmer
wurde. Durch die Photosynthese kam es auch zur Umkehr von der
ursprünglich reduzierenden zur oxidierenden Atmosphäre,
die die höheren Lebensformen, darunter die Tiere und uns,
sowie die höheren Pflanzen, ermöglichte.
Inzwischen hat das Leben aber soviel Kohlendioxid abgebaut, dass
dieses Gas in der Atmosphäre eigentlich ein rares Gas geworden
ist. Es waren vor der industriellen Revolution schon nur noch
ca. 0,024 %, zu Zeiten der Ursuppe müssen es nahe an 30%
gewesen sein, nun nähern wir uns durch die industriellen
Emissionen und denen des Verkehrs 0,040%. Das ist zwar für
den Treibhauseffekt schon bedenklich, aber, wo wenig ist, kann
man wenig wegnehmen. Die Sonne wird aber weiter wärmer. Mit
weiterer Ablagerung aus dem kleinen Rest ist aber nicht mehr viel
zu machen, das könnte dann auch für die spätere
Entwicklung gefährlich werden, Kohlendioxid ist ja der Hauptnährstoff
der Pflanzen für die Photosynthese. Das Kohlenmonoxid darf
also nicht ganz verschwinden. Das Leben war an einem kritischen
Punkt angelangt.
Lovelock glaubt, die letzte grosse Eiszeit in der Erdgeschichte,
die vier grossen Vereisungen mit drei Zwischeneiszeiten in der
letzten geologischen Periode, im Pleistozän, könnten
sozusagen ein Fieber von Gaia sein. Wenn in einem homöostatisch
gut geregelten System ein Kontrollmechanismus gestört wird,
kann es zu Schwingungen, zum Zittern, kommen.
Wir wissen auch, dass die Regenwälder, als sie noch intakt
waren, in ihrer grössten Ausdehnung, fast zehn Millionen
Quadratkilometer, sehr jung sind. Sie haben sich erst seit Ausklingen
der letzten grossen Vereisung, vor ca. elftausend Jahren ausgebreitet.
Bis dahin waren es kleinere Inseln, umgeben von Savannen (Cerrado).
Das Zusammenwachsen der vielen kleineren, bis dahin von einander
isolierten Regenwaldflächen, ist mit ein Grund für die
grosse Artenvielfalt.
Als mächtige Wärmepumpe haben die Regenwälder einen
Teil der Arbeit des Kühlhaltens des Planeten übernommen.
Sie sind zu einer planetaren Klimaanlage geworden, sie sorgen
dafür, dass der Tropische Gürtel nicht zu heiss, die
anderen, Nord und Süd, nicht zu kalt werden.
Sollte der Regenwald am Amazonas verschwinden, könnte der
Golfstrom umkippen, das wäre für Europa fatal. Man sehe
sich nur die Weltkugel an und vergleiche zwischen dem fünfzigsten
und dem sechzigsten Breitengrad Europa mit Nordkanada.
Wie Bohrungen in den Eisdecken auf Grönland und in der Antarktis
zeigten, können Eiszeiten ziemlich plötzlich ausbrechen,
im Laufe weniger Jahrzehnte, sie brauchen nicht Jahrhunderte oder
Jahrtausende bis sie sich voll entwickeln. Dann aber, dauert es
Dutzende oder Hunderte von Jahrtausenden, bis sie wieder abklingen...
Die letzte, die kürzeste, die Würm-Eiszeit hat mehr
als dreissigtausend Jahre gedauert.
Es muss aber garnicht zu den Extremen, neue Eiszeit oder Überflutungen,
kommen, damit wir von unerträglichen Kalamitäten heimgesucht
werden. Auf dem Weg dorthin wird das Klima immer unregelmässiger,
und das können wir schon überall auf der Welt beobachten.
Das kann bald dazu führen, dass wir keine sicheren Ernten
mehr haben. Was nützt dann schönes Strandwetter auf
Spitzbergen, wenn Milliarden Menschen verhungern.
Wann werden die Mächtigen aufwachen, wann werden sie handeln?
José A. Lutzenberger
Porto Alegre (Brasilien), 22.11.2000
(Published on the internet by Matthias Reichl 06.06.2002)
siehe auch , 2 , 3
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