Lutzenbergers Kritik

Ernährung in der Wissensgesellschaft.

Wieviel Information über echte Lebensmittel wird verdaut und geht als nachhaltiges Wissen in Fleisch und Blut über? Gibt unser intellektuelles Ausscheidungsorgan angesichts der Flut von geschickt verpackter Desinformation (in Medien, Werbung, politischer Propaganda...) den Geist auf? Das Buch bemüht sich diese Verdauungsprozesse anzuregen und die Filter zu verfeinern.

Der Hauptverantwortliche, Franz-Theo Gottwald, Vorstandsmitglied der Münchner Schweisfurth-Stiftung versammelt einige praxisorientierte Wissenschafter, die sowohl Vernetzung von Landwirtschaft und (Über)Lebensmittel-Konsumenten einiges beitragen. So u.a. der Bildungsaktivist Gustavo Esteva, der mit Bauern im Süden Mexikos lebt und mit ihnen lernt, den Folgen der neoliberalen, die kleinen Gemeinschaften und Betriebe zerstörenden Weltwirtschaft (z.B. in der NAFTA und in den Leitlinien der WTO, die demnächst in Seattle ausverhandelt werden) zu widerstehen. Ähnlich kämpft Vandana Shiva, mit den indischen Bauern gegen die Patentierung und Monopolisierung von Saatgut und anderen Grundsubstanzen unseres Ökosystems.

José Lutzenberger, wie Vandana Shiva mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet, analysiert mit seinem Beitrag "Die Absurdität der modernen Landwirtschaft" - den er gemeinsam mit Melissa Halloway verfasste - präzise die Mechanismen. Er verdeutlicht aus seinen desillusionierenden Erfahrungen und aus den hoffnungsvolleren aus seinen eigenen Ökobetrieben die Chancen und Grenzen von weltweit vernetzten Widerstandsbewegungen gegen die globalisierten Bedrohungen durch enthemmte Marktmechanismen. Im Gespräch mit dem Rezensenten kritisierte er auch, daß sein Text von Gottwald als erstes Kapitel des ersten Buchteils integriert wurde, ohne ihn gesondert zu kennzeichnen. Damit scheint er indirekt auch für Aussagen Gottwalds mitverantwortlich zu sein, die er (Lutzenberger) nicht teilt. (Auf die Ko-Autorin wurde ganz vergessen.)

Lutzenberger, José/ Franz-Theo Gottwald: Ernährung in der Wissensgesellschaft. Vision: Informiert essen. Frankfurt/ New York: Campus. 1999 S. 258, DM 36,-/ sFr 35,-/ öS 263,-

Matthias Reichl

Unterdrückung einst und jetzt

...In einigen meiner Gesprächen verwende ich die folgende übertriebene Vereinfachung:

Im traditionellen Feudalismus befiehlt der Landesherr durch seine Funktionäre seinen untergebenen Bauern, drei Viertel ihrer Ernte abzuliefern sonst würde man ihnen den Kopf abschlagen.

Er stationiert auch Soldaten an den Straßen und Brücken um Zoll zu kassieren. Das ist öffentlich und der Typ gibt sich nicht sozial.

Heute sind die Mächtigen weit gerissener. Sie managen es, daß wir alle in einer wachsenden (sich rasend entwickelnden) technobürokratisch-legislativen Infrastruktur eingebunden werden, die immer unentrinnbarer wird und nicht zu hinterfragen ist.

Weil die Mehrheit selbst der gebildeten Leute auf dem Gebiet von Wissenschaft und Technologie unwissend ist, sind sie unfähig zu erkennen was vor sich geht und sie applaudieren ihren Unterdrückern.

Wo sind die Politiker, die begreifen, was vor sich geht und auch entsprechend handeln?...

(Auszug aus einem Brief von J. Lutzenberger an Wendell Berry, 17.9.99, aus dem Englischen frei übersetzt von M.R.)

"...Ich sehe wie die bäuerliche Landwirtschaft demoralisiert wird, entwurzelt, weltweit liquidiert. Dennoch sehe ich zurzeit keine konzertierte Reaktion der Bauern. Wenn z.B. in Bangalore eine halbe Million indischer Bauern demonstrieren, protestierend gegen die Weltbank, WTO, gegen Biotechologie, die Patentierung ihres überlieferten Wissens (z.B. über den Neem Baum und andere Pflanzen, aber auch Tiere) und für eine offizielle Unterstützung regenerativen Landbaus - wo gibt es Unterstützung und Solidarität durch Bauern aus Europa, USA, Kanada, Japan, Lateinamerika, Australien, Afrika? Warum wird jetzt nicht realisiert, daß sie alle im gleichen sinkenden Boot sitzen?

Gerade jetzt akzeptiert die polnische Regierung - die dem gemeinsamen EU-Markt beitreten möchte - in ihren Verhandlungen mit der EU-Kommission deren Argument, daß ihre Bauern rückständig wären, eine niedrige Produktivität hätten und um spezielle Konditionen bitten müssten "bis die polnischen Bauern aufholen können". Aber Polen hat immer noch eine schöne bäuerliche Agrikultur, die unter allen Umständen geschützt werden muß, natürlich auch verbessert, aber im Rahmen einer familiären Bauernstruktur.

Kürzlich reiste ich durch Ostdeutschland. Nach der Wiedervereinigung hätten sie eine gesunde, diversifizierte, familiäre Landwirtschaft fördern können. Doch die Situation ist nun schlechter - die Regierung bezeichnet sie als besser - als unter dem Kommunismus. Die Felder bedecken oft riesige Flächen und das Land wurde und wird an Holländer, Japaner und andere Monokulturen schaffende Farmer verkauft. Nur in Zentralbrasilien habe ich vergleichbares gesehen. Aber man reagiert darauf. Einige die nicht so Großen stellen auf Organisch um...

(Published on the Internet by Matthias Reichl 21.03.01)

siehe auch 1, , 2 , 3 , 4 , 5 , 6 , 8, 9, 10, 11,

home