Schulgedanken zum Jahr des Kindes.

Ich bin schulfeindlich, weil die Kinder wie Topfpflanzen behandelt werden.
Nach dem gewaltsamen Ausreißen aus dem Mutterboden steckt man sie in den Kindergarten-Topf.
Dann in den Schultopf. Buben, wenn sie ein gewisses Alter erreicht haben, in den grauen Militärtopf. Das Umtopfen in den Militärtopf beweist mir, daß wir aus der Geschichte nicht das Geringste gelernt haben.
Ich bin schulfeindlich, weil die Freuden des Schulweges wegfallen. Weil die Kinder - wie Gastarbeiter zur Arbeitsstelle - zur Schule gebracht werden.
Ich bin schulfeindlich, weil das Schulhaus wie ein Glashaus aussieht.
Weil es eine Linealarchitektur hat.
Einer Gefriertruhe gleichsieht.
Weil es Kopfweh erzeugt.
Weil es den Wald beleidigt. Weil es den Berg beleidigt.
Weil es einer Fabrik gleicht. Einer Lagerhalle, in der unser wertvollstes Gut verlagert wird.
Ich bin schulfeindlich, weil die Kinder keine geflickten Kleider mehr anziehen dürfen. Kinder fühlen sich in alten Kleidern wohler.
Weil es in der Schule keinen Staub und Mist mehr gibt, keinen Rauch, keine Fliegen und Spinnen. Weil alles so weiß aussieht, so badewannenweiß. So überdreht neu, so krebsfördernd weiß.
Weil alles schon anfängt vor Sauberkeit zu stinken.
Ich bin schulfeindlich, weil in der Schule nicht gerauft werden darf.
Das auf den jungen Menschen zukommende Leben verlangt Mut.
Er will eine Probe ablegen. Er stellt dem um einen Kopf größeren Klassenkameraden das Bein. So eine Mutprobe ist normal. Abnormal ist es, ihn diese Mutprobe später mit dem Motorrad ablegen zu lassen.
Ich bin schulfeindlich, weil die Schule so humorlos ist.
Alles nach der Uhr und dem Dienstplan gehen muß.
Nichts mehr vom inneren Zifferblatt abgelesen wird.
Ich bin schulfeindlich, weil den Schülern und Studenten noch immer der alte Grießschmarrn aufgewärmt wird.
Was gehen uns die Römer an, die Ritter und Kreuzritter?
Die siegreichen Kaiser und ruhmreichen Heerführer.
Die Führer des Dritten Reiches und nachfolgende Männer mit etwas zu kleinen Kopf und zu großem Einkommen.
Ich bin schulfeindlich, weil wir die Jugend für dumm und uns für klug halten.
Weil der Lehrer nicht den Mut aufbringt und groß an die Tafel schreibt: Nehmt uns nicht als Vorbild, wir haben uns geirrt.
Wir haben für zwei verlorene Kriege Überstunden und Nachtschichten eingelegt.
Schreibfehler sind nicht schlimm, aber Denkfehler!
Arbeitet weniger, erzeugt weniger, erzeugt nicht so viel vom Wegwerfen. Gegenstände, die bis zu 90 Prozent unausgenützt sind, wandern in den Müllschlucker.
Ich habe lange nicht gewußt warum gewisse Völker so viel arbeiten müssen.
Ich weiß es jetzt. Wenn alle Lagerräume voll und übervoll sind drehen die Überfleißigen durch und fangen mit irgendeinem Nachbarn Krieg an.
Sprengen Brücken, Eisenbahnen, zünden Häuser an, verstümmeln und verwüsten Felder und Wälder.
Schießen auf Flugzeuge, Weidevieh und Menschen.
Wenn der Wahnsinnsakt vorbei ist, läuten sie mit den Glocken, knien nieder und bitten Gott, daß er sie wieder in die Fabrik gehen läßt.
Ich bin schulfeindlich, gesellschaftsfeindlich, weil wir von der Jugend Moral verlangen und selber keine haben.
Wenn heute ein junger Mensch in Zweifel gerät und Dummheiten macht, habe ich Verständnis.
Ich bin schulfeindlich, weil so viel Brot in die Mülltonne geworfen wird. Weil den jungen Menschen ständig weiß gemacht wird, daß es uns gut geht.
Was hat ein voller Magen mit Gutgehen zu tun?
Man müßte retourfragen, warum es uns gut geht. Weil wir noch ausgiebiger als Hitler "für den Frieden rüsten"?
Ich bin schulfeindlich, weil die Jugend ohne Symbole und Ideale aufwachsen muß.
Weil wir zu feig sind, ihnen echte Ideale in die Hand zu geben.
Ich bin schulfeindlich, weil noch immer parteifähnchenschwingende Gruppen die Gasse entlanglaufen müssen.
Weil es keine Weltjugendbewegung gibt.
In der alle Länder, Hautfarben und Religionsgemeinschaften der Erde miteingeschlossen sind.
Für mich sind alle Kinder Künstler, schöpferisch begabte Wesen.
Jeder Künstler, der sich etwas vom Kind erhalten konnte, ist glücklich zu nennen.
Ich bin schulfeindlich, weil in der Schule so viele Angstbrüter eingebaut sind.
Einserkinder können unter Umständen für die Eltern sehr schwierig werden. Gott sei Dank hatten meine eigenen Kinder nur Durchschnittsnoten.
Und wenn sie einmal einen Fünfer bekamen, haben wir es gefeiert.
Es gab die große schöne Fünferfeier, verbunden mit länger-Aufbleiben dürfen, länger schlafen dürfen und besserem Essen.
Blitzdenken, rasches Reaktionsvermögen eignet sich fürs Autofahren.
Im Leben sind langsames Denken und überlegtes Handeln vorteilhafter.
Ich bin schulfeindlich, heißt im Grunde genommen, ich bin gesellschaftsfeindlich. Kinder sind lernfreudig und nicht schulfeindlich, wenn sie aus der Lernmaterie einen Sinn herauslesen können.
Was unsere Jugend schockt ist die voll ausgebaute Weltlüge, die nicht künstlich erzeugte, sondern berechtigte Angst.
Das trotz zahlloser Sicherheitsversprechungen unsicher gewordene Dasein.
Da und sonst nirgends liegt der Schlüssel zur Lösung "schwierige Jugend".
Entweder tun wir etwas oder lassen das Ganze gehen wie es geht.
Jede Schulreform und sonstige Reform ist in einer geschichtslos gewordenen Zeit gleich Null.
Ich möchte unter meine Schulgedanken zum Jahr des Kindes einen Schlußpunkt setzen und laut verkünden: Ich bekenne mich zur heutigen Jugend.
Wenn wir es uns abgewöhnen sie dauern zu belügen wird sie uns keine Schande machen.

Hans Mairhofer-Irrsee

Zell am Moos

Manuskript. Veröffentlicht 1980 im "Rundbrief" Nr. 15 des Begegnungszentrums für aktive Gewaltlosigkeit (Wolfgangerstr. 26, A-4820 Bad Ischl).

"Für den Papalagi heißt Bildung: den Kopf bis zum äußersten Rande mit Wissen füllen. Stelle einem Gebildeten eine Frage, er schießt dir die Antwort entgegen, noch ehe du deinen Mund schließt. Sein Kopf ist immer mit Munition geladen, ist immer schußbereit. Jeder Europäer gibt die schönste Zeit seines Lebens daran, seinen Kopf zum schnellsten Feuerrohr zu machen. Wer sich ausschließen will, wird gezwungen..."

aus: Der Papalagi. Tanner Verlag

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