Sozial engagierter Buddhismus

Ein Gespräch von Donald Rothberg mit Sulak Sivaraksa

Dieser Beitrag ist eine um Fußnoten und manche Literaturangaben gekürzte Fassung eines Interviews mit Sulak Sivaraksa, das Donald Rothberg im Juli 1992 in Berkeley, Kalifornien führte. Die englische Originalfassung "A Thai Perspective on Socially Engaged Buddhism: A Conversation with Sulak Sivaraksa" erschien in der buddhistischen Zeitschrift ReVision 15 (1993, Washington D. C.) 3, S. 121-127.

Der Hintergrund der Arbeit Sulak Sivaraksas

Rothberg: Wie hat sich Ihre Tätigkeit in Siam entfaltet?

Sulak Sivaraksa: Ich habe sehr klein angefangen. Ich bin 1961 nach acht oder neun Jahren Studium in England in mein Heimatland zurückgekehrt und begann bald darauf, für den Verlag University Press in Bangkok zu arbeiten. 1963 gründete ich die Zeitschrift Social Science Review und bemühte mich intensiv um Autoren.

Damals herrschte in Thailand bereits seit 1947 eine Diktatur, die von 1957 an noch schärfer wurde. Die meisten Analysen der gesellschaftlichen Lage, die man damals bekommen konnte, waren nichts als Regierungspropaganda, die von amerikanischem Kapitalismus und Militarismus beherrscht wurde. Über Nacht wurde meine Zeitschrift zu einem zentralen Organ der Intellektuellen. Junge Menschen waren von ihr sehr angetan, obwohl ihre ursprüngliche Zielgruppe diejenigen waren, die wie ich im Ausland studiert hatten.

Ich fing an, Treffen mit jungen Leuten zu organisieren, und benutzte dafür einen Tempel im Wat Bovornives (ein Kloster in Bangkok, das auch eine buddhistische Universität beherbergt). Wir suchten nach alternativen Denkansätzen. Und diese jungen Leute wurden immer politischer. 1973 waren viele von ihnen am Regierungswechsel beteiligt [Absetzung der Militärregierung durch Volksbewegung, an der Spitze viele Studenten]. Ich eröffnete auch eine Buchhandlung, die ebenfalls zu einem Treffpunkt wurde. Wo ich auch hinkam, regte ich an, daß Verlage, Druckereien, Zeitschriften und Bücher entstanden. Ich hielt Vorträge und gewann immer mehr Freunde und immer mehr Feinde. So sieht mein Arbeitsstil aus.

In meinem Heimatland habe ich zuerst mit Buddhisten zusammengearbeitet, dann auch mit Christen, Muslimen und Agnostikern. Später habe ich meinen Radius auf die Nachbarländer ausgedehnt, kam über Süd- und Südostasien bis nach Japan und schließlich Amerika. Meine Arbeit hat sich durch Beziehungen auf freundschaftlicher Basis entwickelt. 1971 gründete ich die Stiftung Komol Keemthong Foundation, um den Idealismus der Jugend zu fördern. Diese Stiftung trägt den Namen eines jungen Mitarbeiters, den ich sehr bewunderte. Er wurde von Kommunisten umgebracht.

Natürlich hört sich eine Idee wie: den jugendlichen Idealismus zu fördern, sehr abstrakt an. In der Praxis arbeiten wir mit Konzepten aus den unterschiedlichsten Richtungen - von Thich Nhat Hanh [Vietnam/Frankreich], Ivan Illich [Dalmatien/Amerika], Paulo Freire [Brasilien], Dr. Ariyaratne aus Sri Lanka. Wir arbeiten immer noch oft mit dieser Stiftung zusammen. Auch die Stiftung Sathirakoses-Nagapradipa Foundation habe ich gegründet. Sie ist nach zweien meiner Lehrer benannt. Diese Stiftung arbeitet auf dem Gebiet von Umweltfragen und beschäftigt sich mit Umweltschutz und Natur.

Die Stiftung versucht auch, Künstlern und Dichtern zu helfen. Im Ashram Wongsanit [Thai: Asom Wongsanit] bei Bangkok, der mit dieser Stiftung verbunden ist, können junge Menschen und Künstler an Kursen teilnehmen, eine Weile über sich und ihre Arbeit nachdenken, neue Dinge lernen, aber auch meditieren.

Ins Leben gerufen habe ich auch ökumenische Organisationen wie den Inter-Religiösen Thai Ausschuß für Entwicklungsfragen TICD (Thai Inter-Religious Commission for Development). In ihm arbeiten wir mit Christen und Muslimen zu Fragen der alternativen Entwicklung zusammen. Oder wie die Koordinationsgruppe für Religion und Gesellschaft CGRS (Coordinating Group on Religion and Society). Die Gründung von Organisationen scheint meine Stärke zu sein. Ich gebe gern Ideen an andere weiter. Ich suche Menschen, die diese Ideen mittragen, und oft habe ich sehr bald mit der Organisation selbst wenig zu tun.

Rothberg: Was hat Sie persönlich am meisten beeinflußt bei Ihrer Verbindung von Buddhismus mit sozialem Handeln?

Sulak Sivaraksa: Einen sehr starken Einfluß hat Thich Nhat Hanh auf mich gehabt. Er hat mehr Leid ertragen müssen als die meisten Mönche, und er hat sich sehr für soziale Gerechtigkeit eingesetzt. Im Vietnam der fünfziger und sechziger Jahre hat er sich vor allem um die jungen Menschen gekümmert, während die Gesellschaft um ihn in Aufruhr war, im Chaos versank. Er war in einer überaus schwierigen Situation, stand zwischen zwei lodernden Feuern - den Kommunisten auf der einen Seite und dem CIA auf der anderen.

In seiner Lage hat er sich überhaupt nichts vorgemacht: als Aktivist, als kontemplativer Mönch, als Dichter (in diesen beiden Dingen erinnert er an Merton), als Autor, der glasklar formuliert. Am wichtigsten war für mich seine Lehre vom "gegenseitigen Durchdrungensein" ("interbeing", Nhat Hanh 1994) und seine Gedichte wie "Rufe mich doch bei meinem wahren Namen" (Nhat Hanh 1993b, S. 64-66). Selbstverständlich beruht seine Arbeit auf der traditionellen Lehre von paticca-samuppada ['bedingtes Entstehen', die gegenseitige Bezogenheit aller Phänomene], die er in einen sehr aktuellen Kontext gesetzt hat.

Andere Einflüsse waren Gandhi und die Quäker. Gandhi hat das furchtbare Leid während der britischen Besatzung des indischen Subkontinents selbst erfahren und darauf reagiert. Sein radikaler Ansatz war, bei den Armen zu sein, ausschließlich gewaltlose Mittel anzuwenden und spirituelle Kräfte zu nutzen. Später begegnete ich den Quäkern. Ich war vor allem an den radikalen Quäkern und ihrer Idee einer "religiösen Gesellschaft von Freunden" interessiert. Die Quäker betrachten die Freundschaft als etwas sehr Zentrales, genau wie es Buddha tat. Auch ihr Konzept von der Heiligkeit aller menschlichen Wesen und ihr Gewaltlosigkeitsideal haben mich sehr beeindruckt. Ich empfand, daß die Quäker sich mehr als die Buddhisten dazu äußerten, daß die Macht des Staates notwendigerweise hinterfragt und dagegen Widerstand geleistet werden muß und daß es überhaupt nötig ist, den Status quo zu hinterfragen. Die Buddhisten haben viel zu lange mit dem Staat koexistiert.

Die neuen westlichen Buddhisten und Gruppen wie der Buddhistische Friedensbund (Buddhist Peace Fellowship) haben mir ebenfalls neue Wege aufgezeigt. Besonders hilfreich waren mir Menschen mit linkem (manchmal marxistischem) Hintergrund, die mit einem kritischen sozialen Bewußtsein zum Buddhismus kamen. Die marxistische Gesellschaftsanalyse von der Ursache der Unterdrückung scheint mir sehr hilfreich, wenn sie vor einem gewaltlosen Hintergrund angewandt wird. Vielleicht können Linke (auch Marxisten) vom Buddhismus lernen, bescheidener und achtsamer zu sein und eine gewisse Spiritualität zu entwickeln.

Johan Galtung, ein Europäer, der zum Buddhismus gefunden hat, war der erste, der mich zum ernsthaften Nachdenken darüber brachte, daß es die Buddhisten mehr mit den Systemen aufnehmen müssen als nur das Individuum in den Mittelpunkt zu stellen. Schumacher (1973) war uns vor allem eine Hilfe, über die Entwicklung eines Wirtschaftssystems nachzudenken, das nicht auf Gier und Konsum aufbaut. Auch hier können die Linken von uns lernen: wir hassen das unheilvolle System und nicht die dafür stehenden Menschen. In christlicher Sprache: wir hassen die Sünde, nicht die Sünder.

Ein buddhistischer Ansatz für soziales Handeln in der heutigen Welt

Rothberg: In Ihrem Aufsatz über Buddhismus und gegenwärtige inter-nationale Entwicklungen (Sivaraksa 1992) haben Sie geschrieben, traditionelle buddhistische Lehren und Kategorien seien bisher nicht hinreichend in moderne Terminologien übersetzt worden. Was muß Ihrer Meinung nach getan werden, um den Buddhismus für moderne soziale Probleme relevant zu machen?

Sulak Sivaraksa: Um den Buddhismus für die heutige Welt relevanter zu machen, ist es wichtig, keine Kompromisse in den wesentlichen Aussagen einzugehen, wie z. B. bei den ethischen Grundregeln (sila; die grundlegenden fünf ethischen Regeln im Theravada-Buddhismus schließen Vorschriften ein wie nicht zu töten, nicht zu stehlen, keine "falsche" Rede zu führen, auf schadenstiftende Sexualität und auf Rauschmittel, die den Geist umnebeln, zu verzichten).

Sozial engagierter Buddhismus

2.Teil - Fortsetzung

Sulak Sivaraksa: Um den Buddhismus für die heutige Welt relevanter zu machen, ist es wichtig, keine Kompromisse in den wesentlichen Aussagen einzugehen, wie z. B. bei den ethischen Grundregeln (sila; die grundlegenden fünf ethischen Regeln im Theravada-Buddhismus schließen Vorschriften ein wie nicht zu töten, nicht zu stehlen, keine "falsche" Rede zu führen, auf schadenstiftende Sexualität und auf Rauschmittel, die den Geist umnebeln, zu verzichten).

Diese Grundregeln müssen jedoch überdacht werden, um für das Leben in der heutigen Welt Sinn zu machen. Buddhisten lebten bisher traditionellerweise in eher einfachen, hauptsächlich landwirtschaftlich geprägten Gesellschaften, wie sie in einem Großteil von Südost- und Südasien noch heute vorherrschen. In solchen Gesellschaften sind auch ethische Fragen eher einfach. Jemand kann sagen: "Ich bin ein guter Mensch. Ich töte nicht, ich stehle nicht, ich breche die Ehe nicht, ich lüge nicht." Aber wenn die Gesellschaft komplexer wird, funktionieren diese einfachen Interpretationen der ethischen Normen nicht mehr so gut.

Es ist beispielsweise nicht mehr so einfach, der ersten buddhistischen Regel zu folgen, sich des Tötens von Lebewesen zu enthalten. Die soziale Realität in der modernen Welt ist viel komplexer und vernetzter. Wir müssen Fragen stellen wie: Erlauben wir es, daß von unseren Steuergeldern Waffen gekauft werden? Halten wir uns von der Politik fern, und fordern wir die Regierung nicht heraus? Sollen Tiere für den Konsum gezüchtet werden? Unser Verständnis der zweiten Regel - etwas nicht nehmen, was uns nicht gehört - muß ebenfalls erweitert werden. Wir mögen in der Tat dem Worte nach andere nicht direkt bestehlen. Aber erlauben wir nicht durch die Funktionsweise des internationalen Bankensystems und des Weltwirtschaftssystems den reichen Ländern, die armen Länder auszubeuten? Erlauben wir nicht den Industrieländern, die landwirtschaftlich geprägten Länder auszubeuten? Erlauben wir nicht, daß die Erste Welt die Dritte Welt, die Reichen allgemein die Armen ausbeuten? Ähnliche Fragen können wir bezüglich der dritten Regel stellen, von unschicklichem sexuellem Verhalten abzusehen. Es reicht nicht, sich nur über Ehebruch und die Verletzung anderer Gedanken zu machen, sondern wir müssen grundsätzlich über das sexuelle Verhalten und das Verhältnis Mann-Frau, über die männliche Dominanz und die Ausbeutung von Frauen nachdenken. Wir benutzen beispielsweise Frauen für die Werbung in einer Weise, die Sexismus, Lust und Gier fördert.

Es ist in Wahrheit doch so: Indem wir am System des Konsumdenkens teilhaben, verletzen wir bereits die erste, zweite und dritte Regel. Der vierten Regel zu folgen, das heißt unschickliche Rede zu vermeiden, ist ebenfalls sehr schwer. Denken wir nur an all die Werbung und politische Propaganda, an all die Lügen und Übertreibungen in den Medien und in der Erziehung. Wir haben all dies zu hinterfragen, selbst wenn es legal zugeht. Die Buddhisten haben es in Asien bisher bevorzugt, mit dem Staat und dem Rechtssystem Seite an Seite zu koexistieren. Ich denke, wir müssen diese Haltung überprüfen.

Die buddhistische Sozialethik ist von ihrer Tradition her völlig auf das Individuum bezogen. Wir haben nie das System betrachtet, das gewalttätig sein mag, unterdrückerisch und ausdrücklich auf Diebstahl ausgerichtet. Die buddhistische Vorstellung von Erleuchtung und Verstehen (oder Weisheit, in Pali: panna) muß ebenfalls erweitert werden, so daß Erleuchtung nicht immer nur die innere Erleuchtung meint. Auch hier zeigte der Buddhismus bisher Mängel. Panna muß ein wirkliches Verstehen der eigenen Person und der Gesellschaft einbeziehen.

Wenn die Gesellschaft ungerecht, ausbeuterisch und gewalttätig ist, wie reagiert man darauf? Mit all den parami ('Vervollkommnungen') eines Bodhisattva, der sich der Errettung aller Lebewesen verpflichtet: bescheiden, ernsthaft, ohne starke 'Neigungen', mit 'Bewußtheit', mit Nachdruck, mit Geduld, mit dem unverbrüchlichen Vorsatz, daß die Dinge nicht so bleiben können wie sie sind. Aber die Buddhisten waren zu oft nur die Tugendlämmer und haben nicht wirklich nach einer Antwort auf

all das Leiden in der Gesellschaft gesucht.

Wir müssen also das Leiden und seine Ursachen anders verstehen (die ersten beiden "Edlen Wahrheiten", wie sie Buddha lehrte). Die Leiden zur Zeit des Buddha waren gewiß furchtbar, aber sie waren einfacher zu verstehen. Die gegenseitige Bezogenheit aller Phänomene aufeinander, eine der Hauptlehren Buddhas, war damals einfacher und ist heute viel komplexer. Wir Buddhisten sind auf die Hilfe der Gesellschaftswissenschaftler angewiesen: der Soziologen, Psychologen, Ethnologen und smus nicht mehr allgemein relevant sein und nur noch bei der Mittelschicht Anklang finden. Wenn wir nicht aufpassen, wird der Buddhismus zu einem Weg der Weltflucht werden.

Rothberg: Wenn ich manche buddhistischen Texte lese oder mit Buddhisten rede, hat es selbst bei vielen sozial und politisch aufgeschlossenen Menschen den Anschein, die Hauptprobleme seien innere "Gier", "Haß" und "Verblendung", und deshalb sei die Arbeit an einem selbst das wichtigste. Diesem Denken nach ist jegliche Art von Problemen, die es mit der Gesellschaft und dem politischen System gibt, nichts anderes als der Ausdruck von etwas "Innerlichem". Es existiert kaum Verständnis für eine mehr "dialektische" Beziehung zwischen dem Individuum und dem System, also dafür, wie "Gier", "Haß" und "Verblendung" durch ein System geformt werden, während wiederum ein System geprägt ist von "Gier", "Haß" und "Verblendung". Natürlich gibt es die traditionelle buddhistische Betonung von sangha (Gemeinschaft) und Ethik, aber gewöhnlich wird davon ausgegangen, daß eine Veränderung des Inneren zur Veränderung im Äußeren führt. Wie können wir die Vision von einem sozial engagierten Buddhismus entwickeln, der die Arbeit am Inneren und Äußeren stärker integriert, so daß das eine das andere ergänzt?

Sulak Sivaraksa: Ambedkar, der Führer der Unberührbaren in Indien, der am Ende seines Lebens Buddhist wurde, forderte Buddha auf eine wunderbare Weise heraus. Er sagte: Es genügt nicht, die Ursachen des Leidens in "Gier", "Haß" und "Verblendung" zu sehen. Damit spricht man nur von den "inneren" Ursachen. Die soziale Struktur ist ebenfalls Ursache des Leidens. Als Unberührbarer konnte er dies sehr klar sehen.

Es war sicherlich Buddhas Intention, das Individuum zu verändern. Das letzte Ziel lag in der Befreiung. Er wollte jedoch nicht nur dem Individuum zu seiner Befreiung verhelfen, sondern der ganzen Gesellschaft. Seine Methode bestand daraus, eine sangha, also die 'Gemeinschaft' zu schaffen, die es als eine Art alternative Gesellschaft innerhalb der größeren Gesellschaft geben sollte, um die größere Gesellschaft indirekt zu beeinflussen.

Man sollte jedoch beachten, daß die größere Gesellschaft von damals nicht so übel war. Das System war nicht so rigide. Ein einzelner, der sich gewandelt hat, konnte damals viel bewirken. Zu Buddhas Zeit lebte ein reicher Mann namens Supata, eine Art Bankier, der den Namen Anandapindika erhielt. Dieser Mann wurde zu einem Helfer für alle Armen in seiner Gegend. In unserer Zeit wird ein guter Bankier nicht viel ausrichten. Man müßte schon das gesamte Bankensystem verändern. Wir müssen für unsere eigene Wandlung höchste Maßstäbe anlegen, aber ich glaube, wir litten an 'Verblendung', hätten wir nicht auch ein klares Verständnis davon, wie die unterdrückerische Gesellschaft verändert werden muß.

Das Bodhisattva-Gelübde, alle Lebewesen zu retten, ist eine besondere Herausforderung für alle Buddhisten. Ohne dieses Gelübde würden wir vielleicht sehr eigennützig werden. Mag sein, daß wir die Welt jetzt sofort nicht ändern können, aber wir können einen Anfang machen, indem wir die Begegnung mit dem Leiden der anderen suchen, Verständnis dafür suchen, es mit den anderen teilen und ganz einfach den Wunsch entwickeln zu helfen. Selbstverständlich müssen wir dies mit 'Gleichmut' und 'ohne Anhaftung' tun. Das ist 'Mitgefühl', karuna, unsere Grundhaltung, die uns in unserer Arbeit sowohl im Inneren als auch im Äußeren leitet. Es muß eine Balance zwischen dem Inneren und dem Äußeren geben. Das eine auf Kosten des anderen zu betonen, ist meiner Meinung nach Verrat am Buddhismus.

Rothberg: Als ich Anfang des Jahres das von Achan Maha Bua gegründete Pa Ban That-Kloster im Nordosten Thailands [Provinz Udon Thani] besuchte, führte ich mehrere Gespräche mit Bhikkhu Pannavaddho. Das ist ein britischer Mönch, vielleicht derjenige westliche Mönch in Thailand, der von allen schon am längsten dort lebt. Er bezweifelt, daß es für sozial engagierte Menschen wirklich möglich ist, gleichzeitig ein vollkommen spirituelles Leben zu führen, selbst wenn ihre Arbeit von großer Hilfe ist. Für ihn heißt dieses Leben zu leben, daß man sich für die Befreiung einsetzen muß, und zwar so, daß man seine 'Befleckungen' mit der Wurzel ausreißt, die einen an der ursprünglichen Liebe und am ursprünglichen Verstehen hindern. Dies setzt jedoch ein Leben in einer höchst geschützten Umgebung voraus, zum Beispiel in einem Wat (einem buddhistischen Kloster). Ein Leben mit sozialem Engagement wird höchstwahrscheinlich nicht die spirituelle Tiefe besitzen, die einem Mönch im Schutz eines Wat möglich ist.

Das ist ein wichtiger Punkt für viele Menschen im Westen. Unser Ziel ist es, auf eine solche Weise sozial zu arbeiten, die sowohl spirituelle Tiefe als auch soziale Tiefe mit sich bringt, und nicht so, daß wir in beiden Dimensionen bloß oberflächlich arbeiten.

Sulak Sivaraksa: Natürlich ist es eine große Gefahr, daß es sozial engagierten Menschen an spiritueller Tiefe, innerer Ruhe und innerem Frieden mangelt. Einige in

diesem Bereich aktive buddhistische Mönche (zum Beispiel in Sri Lanka und Burma) sind manchmal sogar gewalttätig geworden. Aber was Pannavaddho sagte, ist nur für eine kleine Minderheit von Mönchen anwendbar. Es gilt für diejenigen, die davon überzeugt sind, ihre erste Pflicht sei das Loskommen von 'Befleckungen'. Es ist unrealistisch zu erwarten, daß alle Mönche dieses Ziel haben sollten. Selbst zur Zeit Buddhas gab es viele Mönche, die dieses Ziel nicht hatten. Ein Mönch sollte irgendwo zwischen dem Minimum (dem Befolgen der ethischen Hauptregeln) und dem Maximum (dem Bemühen um Befreiung) praktizieren. So leben auch die meisten Mönche. Der Beitrag eines Mönches sollte freilich über das reine Befolgen der minimalen ethischen Prinzipien hinausgehen. In der Tradition des Theravada-Buddhismus gibt es etwa die Stadtmönche, die den Menschen helfen und sie auf verschiedene Weise beraten, zum Beispiel in der Erziehung und im Gesundheitswesen. So drückt sich traditionellerweise eine sozial engagierte Spiritualität aus.

Ohne die spirituelle Dimension werden sozial engagierte Menschen aber bald ausgelaugt sein. Wir brauchen Freude, Friede und Ausruhen in uns selbst, in unseren Familien, innerhalb unserer Nachbarschaft. Wenn wir ethische Normen und soziale Gerechtigkeit miteinander verbinden wollen, dann brauchen wir auch Zeit für unsere geistliche Entwicklung, Zeit für Meditation, Zeit um Kopf und Herz in Einklang zu bringen, und schließlich auch für einige Wochen im Jahr die Zeit für Erneuerung und Rückzug, manchmal bei Lehrern, die uns helfen und hinterfragen. Deshalb sind Zentren der Erneuerung wie Buddhadasas Suan Mokkh, der "Garten der Befreiung" (im Süden Thailands), Thich Nhat Hanhs Plum Village (Frankreich, in der Nähe von Bordeaux), oder das von mir gegründete Zentrum, der Ashram Wongsanit, so wichtig.

Ohne diese Art von Hinterfragen und Praxis werden Menschen, die einen Wandel der Gesellschaft erreichen wollen, viel zu leicht der Gier anheim fallen, werden lieber ein hohes Tier werden oder haßerfüllt sein. Sie werden viel eher selbst Macht ausüben wollen oder verblendet sein oder eine unmögliche ideale Gesellschaft fordern und naive Weltverbesserer werden. Meditation und kritisches Selbstbewußtsein helfen dazu, diese fragwürdigen Motivationen zu entlarven. Zumindest wird die Frage aufkommen: "Tue ich etwas aus Gier und Haß heraus?" selbst wenn man keine klare Antwort darauf finden mag.

Meditation allein genügt jedoch nicht, weil die Menschen so viel leiden. Man muß auch handeln. Jeder sollte also das tun, was in seinen Kräften steht.

Für das Internationale Netzwerk Engagierter Buddhisten (INEB, von Sulak Sivaraksa gegründet) haben der Dalai Lama aus Tibet, Thich Nhat Hanh aus Vietnam und Buddhadasa Bhikkhu [gest. 1993] aus Siam die Schirmherrschaft übernommen. Sie repräsentieren die drei buddhistischen Hauptrichtungen (Vajrayana, Mahayana und Theravada). Sie pflegen die regelmäßige Meditation und sind sehr daran beteiligt, eine "dhamma-Pÿvôgemäße", also auf Weisheit und Mitgefühl gegründete Gesellschaft mit aufzubauen. Sie alle wurden von Angesicht zu Angesicht mit dem Leiden konfrontiert und sind darauf ganzheitlich eingegangen, und zwar auf eine Weise, von der wir lernen können.

Der Dalai Lama lebt bereits seit über dreißig Jahren im Exil. Er betont Meditation und 'Mitgefühl' und lehrt uns, die chinesische Regierung und die Chinesen als Menschen zu lieben, obwohl sie unzählige Greueltaten an Tibetern verübt, viele getötet und ihre Tempel zerstört haben. Seine Lehre ist sehr relevant für meine jungen Bhikkhus (Mönche) inmitten des Bürgerkriegs in Sri Lanka. Wie können sie lernen, die Tamilen zu lieben? Bisher war ich nicht sehr erfolgreich. Aber viele dieser Mönche fangen nun zu meditieren an und praktizieren das traditionelle Klosterleben wie zum Beispiel den Almosengang.

Thich Nhat Hanh wiederum hat etwa in Thailand vietnamesischen Flüchtlingen geholfen, die in den Flüchtlingslagern von den Thai oft sehr schlecht behandelt wurden. Einige von ihnen wurden von Thai-Piraten vergewaltigt. Thich Nhat Hanh hat den Flüchtlingen geholfen und sie gelehrt, die Thai nicht zu hassen. Auch als sie sich in Amerika und Australien niedergelassen hatten, hat er sich weiter um sie gekümmert. Er half ihnen vor allem dabei, daß ihre Kriegswunden heilen können. Für Thich Nhat Hanh bedeutet die Hilfe für andere zugleich Hilfe für die eigene Person. Wer bereits die geistliche Kommunität Plum Village besucht hat, die Thich Nhat Hanh in Frankreich gründete, kann selbst sehen, wie dort Meditation und soziales Bewußtsein gleichzeitig gedeihen.

Buddhadasa mag nicht so schwer wie die beiden anderen verfolgt worden sein, aber auch er wurde oft genug angegriffen. Manche haben ihn als Kommunisten beschimpft. Einige Mönche aus Sri Lanka nannten ihn einen Ziegenbock und Propagandisten für die Christen. Ein sehr bekannter buddhistischer Lehrer warf ihm sogar vor, gar kein Buddhist zu sein, und belegte ihn, den älteren Mönch (inzwischen 87 Jahre alt), mit allen möglichen Schimpfnamen, hauptsächlich deswegen, weil er für Ideen nicht-buddhistischer Traditionen offen war. Buddhadasa wurzelt aber sehr wohl in der buddhistischen Tradition. Er hält es sehr genau mit der Befolgung der ethischen Regeln des Theravada-Buddhismus. Gleichzeitig hat er den Vajrayana- und Mahayana-Buddhismus als gültige Wege betrachtet. Seine Heiligkeit, der Dalai Lama [Vajrayana], hat ihn eigens besucht. Und Buddhadasa bewunderte die Arbeit von Thich Nhat Hanh [Mahayana].

Sozial engagierter Buddhismus

3.und letzter Teil

Die Bedeutung von Gemeinschaft

Rothberg: Wenn man im Westen ein Leben führen möchte, das gesellschaftliches Engagement und Spiritualität miteinander verknüpft, ist das aus vielen Gründen ziemlich schwer. Dies ist vor allem so, weil es kaum ein unterstützendes Umfeld dafür gibt. Während des vom 'Buddhistischen Friedensbund' im Juli 1992 organisierten Sommerkurses haben Sie darüber gesprochen, wie wichtig die Gemeinschaft als Form gewaltlosen Widerstandes ist, wie sie helfen kann, Konsumdenken und Herrschafts- und Unterdrückungsstrukturen zu hinterfragen.

Sulak Sivaraksa: Es ist wichtig, daß das tägliche Leben in der Gemeinschaft gelebt wird. Das heutige Leben in den

Industrieländern, das so stark durch Zersplitterung, Individualismus und Konsum geprägt ist, ist nicht förderlich für eine sozial engagierte Spiritualität. Im Gegensatz dazu erachtet die buddhistische Tradition die Einfachheit als zentrales Lebensprinzip in der Gemeinschaft. Nach alter Tradition darf ein Mönch nicht mehr als drei Gewänder, eine Almosenschale, einen Faden, eine Nadel und nur ein Paar Sandalen besitzen.

Uns wurde auch gelehrt, nicht am Geld zu hängen und ihm nicht zu viel Beachtung zu schenken (obwohl wir Laien es zum Überleben brauchen). Je autarker wir sind, je mehr wir etwa unsere eigene Nahrung anbauen, desto weniger wichtig ist das Geld. Alles, was wir anpflanzen, sind wir bereit, mit anderen zu teilen. Deshalb sollten wir meiner Meinung nach nah an der Natur und in Gemeinschaft mit Menschen leben. In unseren traditionellen Gesellschaften war es immer so. In dieser Hinsicht wäre es gut, wieder dorthin zurückzukehren. Ich glaube, daß dies möglich ist, wenn die Menschen gründlich nachdenken und das Konsumdenken hinterfragen, indem sie

dafür eintreten, 'Nicht-Gier', 'Nicht-Haß' und 'Nicht-Verblendung' zu leben. Und dabei zeigen sie anderen Menschen Alternativen zum Materialismus auf und wie sie den Kapitalismus mildern können

In meiner Gesellschaft, vor allem in ländlichen Gebieten, leben die Menschen immer noch meist in Großfamilien, außer in Bangkok, das wie jede andere westliche Stadt

ist. Wir achten noch immer unsere Eltern und Großeltern und haben Mitgefühl mit den Armen, den Blinden und den geistig Behinderten. Wir schämen uns nicht, wenn ein Familienmitglied geistig behindert ist. Wir müssen das Positive in den Traditionen, etwa in der Landwirtschaft, der Medizin, der Ernährung und der Kleidung wieder stärken, sonst passiert es, daß die modernen Tendenzen alles wegfegen.

Rothberg: In den Vereinigten Staaten wird der Buddhismus häufig sehr individualistisch interpretiert. Gary Snyder sagte, die sangha sei das am wenigsten entwickelte der "drei Juwelen" des Buddhismus (zu ihnen gehören der Buddha oder das Vorbild der befreiten Person, dhamma, die Grundlehren über die Befreiung und sangha) [Inquiring Mind 4, Berkeley 1988, 1, S.5].

Sulak Sivaraksa: Als mein Lehrer Achan Buddhadasa 84 Jahre alt wurde - das ist nach unserer Tradition das Ende des siebten Lebenszyklus, gab ich das Buch "Radical Conservatism" heraus (Sivaraksa, 1990). Die Botschaft, die sein Titel enthält, ist mir sehr wichtig. Wenn man als Buddhist nicht radikal ist und nicht daran arbeitet, das Leiden zu verringern, passiert es sehr schnell, daß man nur ein kleines Stück vom Buddhismus für das eigene Ego nimmt. Jedoch ist der Buddhismus nicht sehr oft radikal. Zu rasch begnügt er sich mit einer Koexistenz neben Kapitalismus und Konsumdenken. Wenn der Buddhismus in den Vereinigten Staaten nicht radikal ist, wird er irgendwann zu amerikanischer Folklore verkommen und wenig nützlich sein, so wie der Buddhismus in Japan sehr häufig nur noch rein dekorative Zwecke erfüllt.

Viele Versuche, in den Vereinigten Staaten so etwas wie staatliche Gemeinschaft zu schaffen, sind fehlgeschlagen, vor allem weil der Individualismus so stark geworden ist und die Gemeinschaften sich nicht fest genug auf ethische Grundprinzipien stützen. Dabei wäre an John Locke und an die von seinen Gedanken beeinflußte amerikanische Unabhängigkeitserklärung zu denken, die "Leben, Freiheit und das Streben nach (dem, was man so) Glück nennt", möglich machen wollte.

In Wirklichkeit besteht jedoch das Streben nach Glück meist im Streben nach Reichtum. Traditionellerweise besitzen die Mitglieder einer sangha jedoch überhaupt kein Eigentum. Alle Mitglieder sind wirtschaftlich und sozial gleichgestellt. Die Laien können die sangha als Modell betrachten und versuchen, weniger Eigentum zu besitzen, weniger an dem zu hängen, was sie haben, und für mehr wirtschaftliche und politische Gleichheit einzutreten.

Die Gemeinschaft muß auch auf ethischen Prinzipien beruhen. Selbstverständlich geht es in der Ethik nicht allein darum, nicht zu töten, nicht zu stehlen, den anderen sexuell nicht zu mißbrauchen. Es geht auch um den Respekt vor dem anderen, um das Teilen unserer Ressourcen, um ein Erkennen, wo wir nützlich sein können, um ein harmonisches Zusammenleben und anderes. Wenn wir buddhistische Gemeinschaften schaffen könnten, die auf einem Leben in Einfachheit beruhen, die eng mit der Natur verbunden sind und die ernstlich ein Denken fördern, das das Konsumdenken und den Status quo hinterfragt, dann wäre dies ein bedeutsamer Beitrag.

Erste und Dritte Welt: Zusammen arbeiten, voneinander lernen

Rothberg: Gegenwärtig geschieht viel mehr Austausch zwischen sozial engagierten Buddhisten aus der "Ersten" und der "Dritten Welt". Wie können wir am besten zusammenarbeiten? Was können wir voneinander lernen?

Sulak Sivaraksa: Noch einmal: der wesentliche Punkt ist, daß jeder Mensch ein kritisches Selbstbewußtsein, Bescheidenheit und Samen des Friedens entwickeln muß.

Dann ist ein Dialog möglich, dann können wir aufeinander hören, dann entstehen gute Freundschaften. Sobald wir zusammenarbeiten und zwar besonders dort, wo wir uns auf das Leiden einlassen, verschwindet die Kluft zwischen Reich und Arm, zwischen Erster Welt und Dritter Welt, zwischen Nord und Süd. Dann werden wir zu Partnern und Freunden. Alleine kann man nicht viel ausrichten, aber zusammen mit Freunden ist sehr viel möglich. Wenn man sich einmal der Situation des Südens aussetzen möchte, braucht man Menschen aus dem Süden, die einem dabei helfen. Wenn ich nach Sri Lanka oder Burma gehen möchte, brauche ich Freunde aus diesen Ländern, die mir helfen, damit ich von ihnen lernen kann und sie von mir. Ich muß Respekt vor ihnen haben, muß ihnen gegenüber aufrichtig und offen sein, muß mit ihnen auf gleicher Stufe stehen und nicht auf sie herabsehen.

In den Vereinigten Staaten ist der Boden für eine sozial engagierte Spiritualität ungünstig. Konsumdenken, Gier, Einsamkeit, die Manipulation durch die Staatsgewalt und der Haß sind sehr stark geworden. Und das Schlimmste ist: die Menschen sind so verblendet, meistens, ohne daß sie es merken. Da kann es sehr hilfreich sein, mit uns in Asien zusammenzuarbeiten, etwa für ein halbes oder ganzes Jahr, beispielsweise den Tibetern, den Ladakhis, den Thai oder den Burmesen zu helfen. Aber es sollte keine Flucht sein.

So könnte man in Asien arbeiten und dabei feststellen, daß die Ursachen des dortigen Leidens eventuell in der Ersten Welt liegen. Wenn man dann wieder zurückgeht, nachdem man in Gemeinschaft mit den Menschen dieser Länder und eng mit der Natur verbunden gelebt hat, ist man vielleicht eher motiviert, auch im eigenen Land in dieser Weise zu leben.

Es kann auch helfen, einmal einer Gesellschaft ausgesetzt zu sein, in der man deutlicher sehen kann, wie sehr Menschen verblendet sind, und in der es offenkundiger ist, wer die Macht hat. In meiner Gesellschaft ist beispielsweise sichtbar, daß die Militärs in aller Öffentlichkeit Menschen töten. In den Vereinigten Staaten tötet das Militär niemals öffentlich die eigenen Leute. Es geht viel geschickter vor, und die Leute bleiben in ihrer Verblendung: Alle Kriege sind angeblich gerecht, sind wunderbar für die amerikanische Flagge, für die offene Gesellschaft, für den liberalen Westen und so weiter.

Unterdrückung, Versöhnung und der Mittlere Weg

Rothberg: Obwohl engagierte Buddhisten Herrschafts- und Unterdrückungssysteme entlarven, hinterfragen sie dennoch meist die Tendenz der Linken, Unterdrücker und Unterdrückte in entgegengesetzte Lager zu stecken. Buddhisten betonen statt dessen häufiger den Weg der Versöhnung. Wie ist es aber möglich, daß wir sowohl die Unrechtssysteme als auch die konkreten Personen, die in vielfacher Weise für die Unterdrückung verantwortlich sind, beim Namen nennen, ohne eine strikte Unterscheidung zwischen "guten" und "bösen" Menschen zu treffen?

Sulak Sivaraksa: Das ist die schwierigste Frage. Hier ist eine ernsthafte spirituelle Praxis vonnöten. Es ist einfach, die Unterdrücker zu verdammen, aber in Wirklichkeit verdammt man sich selbst, wenn man andere verdammt. Gerade jetzt steht dieses Problem in meinem Land sehr im Vordergrund (im Mai 1992 wurden in Bangkok bei Protestaktionen Hunderte von Demonstranten getötet). Natürlich kann man einfach ein Urteil fällen und feststellen, daß nur eine Seite recht hat und die andere nicht. Aber dafür braucht man - obwohl es schwierig zu erklären ist - ein tieferes Verständnis von kamma und die Interdependenz über gewaltige Spannen von Raum und Zeit hinweg. Wir müssen ein solches tieferes Verständnis pflegen, wir müssen auch über das Wesen sozialer Systeme nachdenken und uns weniger auf Personen konzentrieren.

Wenn man sich an richtig und falsch festklammert, wird man anderen lästig und voller Haß, und letztendlich muß man dann vielleicht jemanden umbringen. Christlich formuliert: man macht sich zum Gott. Wir müssen mehr Barmherzigkeit und Mitleid üben. Hier kann der Westen von den Buddhisten lernen. Unsere Stärke ist unsere Fähigkeit zu vergeben. Aber natürlich ist dafür eine [religiöse] Praxis unabdingbar. Man muß tiefer in sich hineinsteigen und sich an seinen Wurzeln packen und dabei

über das Denken von "Auge um Auge" hinauskommen.

(Published on the internet by Matthias Reichl 25.03.2001 )

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