Alltäglicher Terror und die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen

Hintergrundinformationen zum Kommentar "Nährboden des Terrors" im "Südwind Magazin" Nov. 2001.

Matthias Reichl

Nach der Betroffenheit über die Opfer von New York und Washington und dem Erinnern an weniger spektakuläre Bedrohungen weltweit wird erneut klar: Terror in jeder Form darf sich nicht ausbreiten und auszahlen. Doch wer zahlt dabei drauf - auch weitab von den Kriegsschauplätzen?

USA = Amerika: Eine medial totgesagte Solidarität und Zusammenarbeit wird von Militärs und Politikern für ihre Ziele wiedererweckt. Die US-Regierung okkupiert den Begriff "Amerika" für sich: "Angriff auf Amerika", "America strikes back (CNN-Slogan, 7.10.)", "das offizielle Amerika", "amerikanische Außenpolitik", "90% der Amerikaner befürworten die Militärschläge gegen Afghanistan und stehen hinter Bush", Kritiker werden des "Antiamerikanismus" bezichtigt usw.

Die "restlichen Amerikaner" von Chile bis Kanada geraten dabei in Sippenhaft (siehe den Text von Eduardo Galeano). Jahrhundertelange Unterdrückung und Terror durch - von US-Behörden und Institutionen ausgebildeten und finanzierten (Para)Militärs und zivile Todeskommandos - werden verdrängt. Ihre jahrhundertelangen Leiden wird verdrängt (siehe Text von Johan Galtung). CIA-Agenten bzw. angeheuerten Kriminellen wird per US-Kongress-Beschluss erlaubt, im Ausland lautlos Gegner zu ermorden - ohne vorangegangenes Gerichtsverfahren und Verteidigung (siehe den Text von Augusto Boal). Wird es einen Kuhhandel der US-Regierung mit der UNO geben: die Bezahlung der Beitragsschulden gegen einen Freibrief für (territoriell und kategoriell) unbeschränkte Aktionen?

Vor kurzem startete die US-Regierung wieder einen Geldregen und politischen Ablaßhandel für dubiose, verbündete Regime und Geheimdienste während in den "Hinterhöfen" der Großmächte die Bevölkerung weiter ausgebeutet und unterdrückt wird. Die - auch in unserem Land - unter den Kürzungen von Entwicklungs-, Sozial-, Bildungs- und Umweltinvestitionen leidenden werden erneut Opfer von "Kollateralschäden".

Für Kriegsopfer in Afghanistan gibt es - bei "militärisch-humanitären" Flügen von US-Militärs in vermintes Gelände weggeworfene - kaum brauchbare Nahrungsmittel und Medikamente (seihe den Text von Maude Barlow).

Die ersten Milliardenstützungen der US-Regierung gab es für die Börsen, Luftfahrtfirmen und vor allem für militärische und zivile "Sicherheitssysteme" - Fehlinvestitionen in Gewaltapparate. Gekürzte bzw. verweigerte staatliche Unterstützungen für gewaltfreie Initiativen (Bewegungen) schwächen deren Einfluss - und stärken deren gewaltsame Gegner (siehe den Text der War Resisters International/ WRI).

Den gewaltfreien Widerstand können auf Dauer weder gewalttätige Trittbrettfahrer diskreditieren noch "Aufstandsbekämpfer" liquidieren. Während sich Friedens- und globalisierungskritische Bewegungen sich konsequent gegen diese Mitläufer wehren, kalkulieren Terroristen diese in ihrem Schatten agierenden - darunter wahrscheinlich auch Rechtsradikale mit konträren Ideologien - als zusätzliches destablisierendes Potential mit ihren Ablenkungsmanövern (z.B. die Anschläge mit Erregern des Milzbrandes und die ausgelöste Hysterie). Um staatliche Institutionen aber auch Privatpersonen aus Wut und Verzweiflung (über Ungerechtigkeiten...) zu bedrohen, aus sadistischer Schadenfreude oder einfach aus sinnlosen Impulsen aus der Spaßgesellschaft. Es gibt wahrscheinlich noch weitere Motive... Bei der Wahl in Argentinien gab es nicht nur viele Ungültigwähler, sondern auch welche, die noch ein weißes Pulver (Salz, Mehl...) sowie ein Bild von Bin Laden beilegten. Ist das "nur" ein politischer Protest gegen die unsoziale Sparpolitik oder eben eines der oben angeführeten obskuren Protestmittel?

Selbstkritisch müssen Friedensinitiativen eingestehen, daß sie mit ihren gewaltfreien Aktionsmethoden der personalen und strukturellen Gewalt durch Terrorismus und internationale (Wirtschafts-) Kriminalität nicht ausreichend Widerstand leisten können.

Verarmte Menschen - nicht nur in (Nach)Kriegsregionen - sind zunehmend gezwungen, in der (klein)kriminellen Grauzone unter Selbstausbeutung ihr Überleben zu organisieren, erpressbar durch kriminelle Syndikate und Parteien. Konferenzen, Demonstrationen und Appelle reichen nicht aus. Gewaltfreier Widerstand gegen und Verweigerung der Zusammenarbeit (auch mit ungerechten Institutionen) ist gefordert. Doch das Vertrauen in die Bekehrung der strukturellen Gewalttäter allein durch Dialog, Appelle und vorgelebte Alternativen wurde zu oft enttäuscht (siehe die Texte von Noam Chomsky und Dorothee Sölle)

Werden mit dem modernisierten Arsenal von Abschreckungsstrategien aus dem "Kalten Krieg" gewaltfreie Proteste im Keim erstickt?

Mehr als nur Kriegsrhetorik - Globalisierungskritiker im Visier der Wirtschaftskriegsstrategen. "Low intensity warfare" gegen uns (erklärte Vandana Shiva in Prag am 27.9.2000) inklusive verdeckter Aktionen von Gewalt provozierende Agenten und auch Killerkommandos. Bedingt durch die Weigerung, sich wie Terroristen konspirativ zu organisieren, geraten viele Gewaltfreie zwischen die Fronten. Unterliegt die offene, ethisch begründete Haltung den laufend angepassten und verschärften Strategien der Verteidiger einer profitmaximierenden Wirtschaft und Politik?

Internationale Netzwerke organisieren den gewaltfreien Widerstand: "Jubilee South" fordert den sofortigen Stopp der Schuldenrückzahlung. "Ecological Debt" geht einige Schritte weiter und fordert die Kompensation für soziale und ökologische Schäden als Folge der Ausbeutung durch den "reichen Norden". Neustes Beispiel: die Forderung bei der UN-Konferenz gegen Rassismus (Durban 2001) als erster Schritt zur Kompensation für jahrhundertelange Sklavenarbeit.

Die Wirtschaftsmanager und -politiker treffen sich vom 9. - 13.11. in Doha (Qatar am Persischen Golf) zum Gipfeltreffen der Welthandelsorganisation WTO.

Ein Abbau von Handelshemmnissen und deren Liberalisierung als Waffe gegen Terrorismus (Forderung des US-Chefdelegierten Zoellick bei der WTO)-erzwingt eine weitere Reduzierung von mühsam erkämpften ökonomischen, sozialen und ökologischen Regulierungssystemen. Die GATS-Vereinbarungen zu "Handel und Dienstleistungen" zerstört durch eine Privatisierung die Grundversorgung, bei TRIPS wird die Vermarktung von geistigem Eigentum sowie des Genpool von Menschen und Ökosystem irreversible Weichenstellungen und Schäden anrichten - mit zusätzlichen Millionen Toten. Die von Bush’s Regierung verweigerten Klimaschutzmaßnahmen haben nach Jahren u.a. für immer überflutete Inseln und Küstenregionen zur Folge. Ganze Staaten und Völker werden damit ausgelöscht.

Zivilsationskritik an der Verschwendung endlicher Ressourcen ist nicht neu!

Schlacht um die Märkte, Eroberungszüge, feindliche Übernahmen von Firmen, Terror der Ökonomie (Viviane Forrester), Konsumterror, an maximalem Profit orientiert, die profitdominierte Privatisierung gefährdet die Grundversorgung, die Vermarktung der Genressourcen von Mensch und Umwelt.

Gewaltfreie Muslime und Globalisierungskritiker kritisieren deshalb gemeinsam unsoziale, korrupte Regierungen und Eliten und fordern ihre Ablösung durch verantwortungsbewußte dezentralisierte Führungsstrukturen.

Die weltweite Verbreitung des Konsumterrors einer neoliberalen "Zivilisation" verursacht durch seinen biologisch-chemischen Krieg gegen die Konsumenten in ihre biologischen Kulturen unaufhaltsame Umweltzerstörung vor. Ein Sieg dieser "Zivilisation" bedeutet den schrittweisen Genozid und Ökozid.

Zerbrechende Statussymbole. Abgesehen von der "furchtbaren Zerstörung von menschlichem Leben" gebe es zu denken, meint Hildegard Goss-Mayr: "Sie haben zwei neuralgische Zentren der gegenwärtigen Weltpolitik und Weltwirtschaft getroffen." Das Welthandelszentrum sei "auch ein Turm zu Babel". Die gesamte Weltwirtschaft sei "auf Profit ausgerichtet und nicht in erster Linie auf das Wohl der Menschen". Den Preis bezahle die "Dritte Welt" und "immer mehr auch Leute im Westen". Und das Pentagon, das zweite Ziel, stehe für "die militärische Macht, mit der dieses Wirtschaftskonzept verteidigt wird"... (aus "Sonntagsblatt", Graz v. 23.9.2001)

Überdimensionierte Konstruktionen sind anfälliger auf Naturkatastrophen, Chaos und technische Störungen (von innen und aussen), ziehen aber auch Terroristen an. Davor warnten das World Social Forums (in Porto Alegre im Jänner 2001) und schon vor Jahrzehnten u.a. auch die Österreicher Günther Anders, Robert Jungk und Leopold Kohr. Wem nützt es, wenn im vorauseilenden Gehorsam auch bei uns den Überwachungsstaat ausgedehnt wird?

Es gibt noch Räume für alternatives Handeln, doch sie verringern sich rapide. Dies ist zwar Anlaß für Pessimismus, aber nicht für Resignation und Kapitulation.

Matthias Reichl

9./ 17.10.2001