Endlose Gewalt?

Die Terroranschläge auf das World Trade Center in New York und auf das Pentagon in Washington - und indirekt weitreichend auf wichtige Netze der überentwickelten Industriegesellschaft - mit den vielen hilflosen Opfern müssen entschieden abgelehnt werden.

Weitgehend ignoriert wurden bisher die Warnungen an die politischen und ökonomischen Führungskräfte, daß Strukturen das menschliche Maß längst überschritten haben und immer weniger steuerbar sind. Sie können unter anderem durch innere technische Zusammenbrüche, durch (Natur-)Katastrophen, Kriege, aber auch durch verbrecherische Terrorakte zerstört werden. Die Folgen für viele Menschen (nicht nur die unmittelbar getöteten) sind unabsehbar. Und Terroristen rechnen kaltblütig mit der (meist unausgesprochenen) Sympathie jener, die physisch bzw. ökonomisch unter die Räder dieser Maschinerien gekommen sind und neben ihrem Leben (fast) nichts mehr zu verlieren haben.

Leopold Kohr warnte vor dieser globalisierten "Überentwicklung", die fast zwangsläufig irgendwann zum Zusammenbruch führen muß. Er, sowie Robert Jung und viele andere - die mit unserer Arbeit eng verbunden waren bzw. sind - bemühten sich um gewaltfreie Alternativen dazu, um die Reduzierung der Konflikte so lange diese noch zu beeinflussen sind.

Haben die Terroranschläge in den USA auch die Situation der Globalisierungskritiker verändert? Für diejenigen, die direkt bzw. indirekt Opfer der in vielen Regionen längst stattfindenden "Umwelt- und Wirtschaftskriege" sowie militärische Interventionen sind, geht der alltägliche Überlebenskampf weiter. Sie stehen dies nur durch gemeinschaftliche Strukturen durch und sind dadurch auch auf die sich abzeichnenden großräumigen Krisen und Zusammenbrüche besser vorbereitet als an "Sicherheit" gewöhnte Bewohner in Reichtumszonen.

In der "Kriegserklärung" der US-Regierung und ihrer Verbündeten, die nur "Gute" (Verbündete) und "Böse" (Gegner, Kritiker) kennt, ist anscheinend kein Platz für "Neutrale", für Mediatoren und Konfliktvermittler, für politisch aktive Gemeinschaften, die sich dem dominierenden Herrschaftsmodell entziehen und gewaltfrei widersetzen. Der Militärschlag gegen - vermeintliche - Terroristenzentren soll indirekt auch die gewaltfreien Kritiker der Herrschaft der "Global Player" zum Schweigen bringen. Seit einigen Monaten ist es klar, daß westliche Geheimdienste im Sinne ihrer Auftraggeber die Kritiker und Gegner der herrschenden Globalisierung als vorrangiges Feindbild aufbauen und die ihre Bekämpfungsmethoden darauf ausrichten. Ist es Zufall, daß heute ein "Experte" in einem deutschen TV-Bericht behauptete, daß einige deutsche, humanitäre NGOs, die u.a. auf dem Balkan aktiv sind, mit radikalen Islamisten Kontakt hätten? Wahrscheinlich wird man dies auf alle jene ausdehnen, die sich den (auch von vielen Medien) geschürten Islam- (und Palästinenser-) Feindbildern widersetzen.

Damit erhält der untenstehende Text - fertiggestellt am 24.7.2001 - über die absehbare verschärfte Behinderung und Verfolgung gewaltfreier Aktivisten eine zusätzliche Aktualität. Ich danke für Kommentare und Ergänzungen, die ich bei der Überarbeitung gerne nach Möglichkeit berücksichtige.

Matthias Reichl
Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit, Wolfgangerstr. 26, A-4820 Bad Ischl,
e-mail: info @ begegnungszentrum.at, www.begegnungszentrum.at
14.9.2001

"Wollt ihr den totalen Markt?"

Stoppt ein weltweiter, gewaltfreier Widerstand die (vor-)herrschende Globalisierung?!

Vorbemerkung:

Ich habe bis zum letztmöglichen Zeitpunkt - den 24.7.2001 - zugewartet um aus einer ständigen Flut von Informationen diesen Text zusammenzustellen, der nur teilweise der Komplexität und der Dynamik von "Globalisierung" gerecht werden kann. Selbst eine Auswahl von webpages und Publikationen würde wenig weiterhelfen. Daher sende ich gerne auf Anfrage eine aktualisierte Zusammenstellung von Informationsquellen zu und nehme Interessierte in unseren e-mail-Verteiler mit ausgewählten Texten der weltweiten Basisbewegungen auf. Dieser Text wird auf unserer homepage www.begegnungszentrum.at aktualisiert und mit weiteren Informationen ergänzt.

Die neuesten Berichte über die Hintergründe der brutalen Repressionen von Spezialpolizei und ihren "zivilen" Provokateuren gegenüber den Demonstranten beim G8-Gipfel in Genua erinnern mich an Parallelen beim Prager IMF/WB-Gipfel. Es war eher ein Zufall, daß es damals "nur" Verletzte und mehr als 800 Verhaftete, aber noch keinen Toten gab. Gleichzeitig wird bekannt, daß bei der Bonner Klimaschutzkonferenz - die von der US-Regierung nicht mitgetragen wurde - auf Druck der kanadischen, japanischen und australischen Regierung nur ein aufgeweichtes Resultat mit vielen Schlupflöchern als "Erfolg" präsentiert wurde. Wissenschafter werden nun die zusätzlichen Toten und unwiederbringlich zerstörten Teile des Ökosystems - inklusive ausgerotteter Tier- und Pflanzenarten - abschätzen. Nicht zu vergessen, die Vielzahl weiterer Ursachen eines drohenden Ökozids! Jene, die bewußt diesen gewaltfreien, weltumspannenden Widerstand in seiner unabsehbaren Komplexität mittragen, haben das Recht und auch die Pflicht zu hinterfragen, ob und wie die gewohnten Methoden der "alten" Bürgerrechts-, Friedens-, Sozial-, Umwelt- und verwandter Bewegungen diesen Herausforderungen gerecht werden. Auch für Friedenspädagogen, Mediatoren, Bewußtseinsbildner, Lobbyisten, Politiker und andere Vermittler werden die Handlungs-Zeiträume bis zum point-of-no-return immer kürzer.

1989 - 2000 - die Neoliberalisierung unserer Nachbarn

Es waren nicht zuletzt die persönlichen Erfahrungen im September 2000 bei den Alternativveranstaltungen und Protestaktionen gegen den Gipfel des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank (WB), die uns Ausmaß und Intensität der Unterdrückungsmaschinerie der "Global Players" bewußt machten. Vandana Shiva, eine indische Expertin warnte uns am Tag nach der Prager Großdemo (beim "Diverse Women"-Treffen), daß in den kommenden zwei Jahren mit einer Periode der verstärkten Kriminalisierung unserer Bewegungen zu rechnen ist. Daß dabei ausgerechnet tschechische Polizisten und Behörden ihre letzten Ideale von 1989 begraben hatten, um die Repressionsstrategien ihrer Berater - aus CIA, Scotland Yard, deutschem Geheimdienst und weiteren "Sicherheits"-Experten - brutal in Taten umzusetzen, demontierte die Fassade eines "gewaltfreien Staates der Bürgerrechtler" gründlich. Eine Strategie von "Low Intesity Conflict/ Warfare" mit dem US-Aufstandsbekämpfer seit Jahrzehnten (teilweise) erfolgreich waren.

"Unser Modell eines 'Dritten Weges' zur Überwindung der staatlichen Planwirtschaft hat keine Chance, wenn nicht auch ihr im Westen gleichzeitig ebenso radikal Politik und Wirtschaft durch eine Abkehr vom 'real existierenden' Kapitalismus verändert!" An diese Aussagen eines tschechischen Regimekritikers in den späten 80er Jahren erinnerte ich mich als ich ihn Mitte 1990 in Prag erneut traf. Beide waren wir betroffen von der massiven Medienkampagne "TINA" aus dem Westen: "There is no Alternative!" - "Der "Dritte Weg" ist ein unverantwortbares Experiment! Nur eine kapitalistische Marktwirtschaft - ohne 'öko-soziale' Beschränkungen - garantiert uns, daß unser Lebensstandard bald jenem des Westens entspricht". Als ihr kompromißloser Propagandist entpuppte sich der Finanzminister (und spätere Ministerpräsident) Vaclav Klaus, der seine Ökonomen-Ausbildung - vor 1989! - bei den Thatcheristen in England und Kanada absolvierte und sich einen neoliberalen Vordenker, den Österreicher Friedrich von Hayek, zum Vorbild nahm. Dieser hatte schon 1945 die neoliberale Sprachregelung geprägt "Wahr ist [...], daß eine soziale Marktwirtschaft keine Marktwirtschaft, ein sozialer Rechtsstaat kein Rechtsstaat, ein soziales Gewissen kein Gewissen, soziale Gerechtigkeit keine Gerechtigkeit - [...] soziale Demokratie keine Demokratie ist." Einer von Klaus' Finanzberatern plädierte im Sommer 1990 (in einer ORF-Diskussion) dafür, jede Art von Geldern zu akzeptieren, auch wenn diese kurzfristigen Anlagen aus zweifelhaften Quellen stammen. Spekulanten und Mafiosi (nun Italiener statt der Russen) nützten Gesetzeslücken bei der Privatisierung und kauften z.B. ganze Häuserzeilen auf. Die neoliberalen Sanierer konnten dort noch verdeckter agieren als jetzt kürzlich in Belgrad. Denn die neue serbische Regierung wurde zum überwiegenden Teil aus Personen zusammengesetzt, die westlichen Management- und Consultingfirmen zumindest nahestehen. (Ähnliches bahnt sich auch in Sofia an.)

Einige geachtete Menschenrechtsaktivisten und Gründer des "Bürgerforums" wie Vaclav Havel dienen nach wie vor als Garanten einer echten Demokratie. Auch wenn sie wie Havel ihr Land blauäugig um jeden Preis in die NATO und die EU drängen, jüngst die US-Raketenpläne befürworten aber auch die westliche Atomtechnologie als Reparatur von obsoleten sowjetischen Konstruktionen - wie das AKW Temelin - anpreisen. Havels Leitmotiv "vom Versuch in der Wahrheit zu leben" wandelte sich in einen Versuch, in einem "Atomstaat" (vor dem ihn Robert Jungk 1990 in Salzburg warnte) "in der Unwahrheit zu überleben". Dazu kommen noch die Deregulierung der Finanzmärkte, die Privatisierung der Grundversorgung und öffentlicher Dienste usw. Havel tat diese Bedrohungen vor kurzem durch weltweit dominierende neoliberale Machtstrukturen - in IMF, WB, Welthandelsorganisation (WTO), EU... - als Angstphobien überforderter Bürger ab. Daß ausgerechnet Jan Kavan, der Mitgründer des europaweiten Netzwerkes der Bürgerbewegungen "Helsinki Citizens Assembly" als tschechischer Außenminister (teilweise gegen seinen Willen) diese Politik transportieren und verteidigen muß, illustriert treffend das Dilemma mancher als Politiker amtierender Menschenrechts- und Friedensaktivisten - nicht nur in Tschechien!

Einer meiner Prager Freunde kommentierte dies mit Bitterkeit: "Während wir uns sorgfältig und bedächtig vor allem auf lokal/ regionaler Ebene für Menschenrechte und Versöhnung, für Basisdemokratie, soziale Netze, Reform der Verwaltung, freie Medien und Bildungsinitiativen, Minderheiten- und Umweltschutz, dezentrale Wirtschaftsprojekte usw. engagierten, wurden wir vom Vormarsch der Eroberer überrollt. Sie mißbrauchten Konsumgier und Nachholbedarf - aber auch das entstandene ideologische Vakuum - der Durchschnittsbürger. Diese Chance nützten geschickt Rechtsextremisten mit ähnlichen politischen und religiösen Sekten, aber auch esoterische Heilspropheten für 'Bekehrungsfeldzüge' aus. Nicht nur wir sondern auch viele unserer seriösen Partner in Politik und Wirtschaft wurden zunehmend von ihnen und von 'Experten' und Lobbyisten an die Wand gedrängt."

Solidarisches Lernen mit dem "Süden"

Was wäre anders gelaufen, wenn damals die Bürgerrechtler in Ost und West dem Beispiel einiger polnischer Solidarnosc-Gewerkschafter gefolgt wären und von den Erfahrungen und Strategien brasilianischer (Land-) Arbeiterbewegungen, landloser Bauern und ähnlichen Basisinitiativen aus dem "Süden" gelernt hätten? Oder z.B. von Manfred Max-Neef, einem Chilenen und Alternativen Nobelpreisträger. Als Oppositioneller und Aktivist in Basisbewegungen erlebte er das Dilemma: "In den wiederetablierten Demokratien der späten 80er und frühen 90er Jahren wurden die zivilgesellschaftlichen Protestbewegungen zunehmend kraftloser... Paradox scheint es, daß das, was Diktatoren nicht zerstören konnten, von Bürokraten in formalen Demokratien mit Leichtigkeit demontiert werden konnte..." Ein hoher Beamter erklärte ihm dazu: "...weil diese Organisationen sehr gefährlich werden, wenn sie zur Opposition werden".

Diese Opfer des (Neo-)Kolonialismus hatten sich - gemeinsam mit den indigenen Völkern Amerikas - mit den fatalen Folgen der Eroberung ihres Kontinents seit fünfhundert Jahren kritisch auseinandergesetzt. Die Strategien der Eroberungszüge von Kolonisatoren haben sich ihrer Erfahrung nach in den Jahrhunderten im Prinzip kaum geändert. Politiker, geschäftstüchtige Produzenten, Händler und deren Finanziers organisierten früher gemeinsam mit den Militärs ihre Eroberungszüge zur Ausbeutung der Rohstoffe im 'unterentwickelten Süden'. Missionare und humanitäre Organisationen sorgten mit ihrer "Ersten Hilfe" für das Überleben der Eroberten damit diese weiter ihre (Sklaven-)Arbeits- und Untertanenpflicht leisten konnten. Bewußt oder unbewußt übernahmen viele von ihnen auch den Part der Ideologiemissionare und Vernichter der ursprünglichen und naturnahen Kulturen und Lebensweisen - alles nur im Streben nach "Fortschritt, Humanismus und Entwicklung".

Seither haben sich nur die strategischen und technischen Möglichkeiten vervielfältigt und besser kaschiert. Wie ich schon anmerkte haben sich vorallem die Zerstörungspotentiale weiterentwickelt, deren Auswirkungen in immer mehr Bereichen irreparable und irreversible Zustände geschaffen hat und fortschreitend weiter schaffen. Dennoch beweisen die Erfolge der internationalen Netze von Globalisierungsgegnern bzw. -kritikern, aber auch die funktionierenden, dezentralen Gegenmodelle (mit Beteiligung vieler kritischer Christen), daß ein Engagement sinnvoll und lebensnotwendig ist.

Gewaltfreie Methoden aktualisieren!

Es ist höchste Zeit, daß wir gemeinsam alte, bewährte gewaltfreie Methoden wiederentdecken, diese aber mit den aktuellen Situationen und Erfahrungen der neuen Initiativen mit dem Ziel einer (Gegen-)Macht der Gewaltfreien weiterentwickeln:

* Analysen

* Bewegungen aufbauen

* Dialoge

* Öffentlichkeit informieren

* Gewaltfreie Aktionen und Proteste

* Ziviler Ungehorsam

* Konstruktive Alternativen und eine gemeinschaftliche Kultur entwickeln und verteidigen

Für Beispiele fehlt hier leider der Platz.

Verweigerung von Dialog und Kooperation?

Wie weit ist es vertretbar, sich in einen Konsultationsprozeß einbinden zu lassen, der den gebräuchlichen Methoden der neoliberalen (wie auch der uralten) Ausbeuter gehorcht? Die geschickt Experten bzw. Gruppen einbinden so lange ihre Dienste brauchbar sind, brauchbare Beiträge integrieren, kritische Ansätze, die gefährlich werden könnten, analysieren um die eigene Gegenstrategie zu aktualisieren usw. Wenn die "Eingebundenen" (selbst)ausgebeutet sind (sich dabei selbst ausgebeutet haben) werden sie wieder ausgeschieden und durch unverbrauchte ersetzt.

Uns sind in den mehr als 30 Jahren unseres Engagements in Initiativen relativ ähnliche Strategiemodelle der Herrschenden untergekommen:

1. Laissez faire - beobachten, wie sie sich entwickeln, was an ihnen brauchbar ist.

2. Kooperationsbereite zeitweise einbinden (siehe oben), Reservekandidaten warm halten.

3. Gemäßigt (gewaltfrei) Kritische durch subtile Druck- und Repressionsmethoden behindern, zurückdrängen - z.B. durch Verweigerung von Subventionen, von Publizität, durch existenzbedrohend erhöhte Gebühren und Abgaben, ruinöse Gerichtsstrafen und Schadensersatzforderungen...

4. Gefährliche politische Potentiale - gewaltbereite, aber auch gewaltfreie - kriminalisieren, ins terroristische Eck abdrängen und entsprechend brutal "behandeln"...

Mit den moralischen Zwängen zur (Mit-)Hilfe werden schon jetzt Aktivisten so eingedeckt, daß sie sich - wie der Hase in Grimms Märchen vom "Hasen und Igel" - von einem eingeigelten Problem zum anderen hetzen lassen - bis sie (wie von ihren Gegnern erwartet) auf der Strecke bleiben. Geraten dabei idealistische humanitäre Helfer nicht in Gefahr - unbeabsichtigt - so lange zu "kollaborieren" bis immer größere Teile der Erde kollabieren?

Mit Finanzen steuern

Spezielle Steuern und Budgetumschichtungen können zwar eine Signalwirkung erreichen. Ob die Gelder wirklich in der erforderlichen Höhe frei werden und diese dann die eigentlich Bedürftigen erreichen, ist nach bisherigen Erfahrungen fraglich.

* Die "Friedensdividende" als Folge einer Abrüstung wurde für neue militärische bzw. zivile Sicherheitstechniken und -personal umdirigiert.

* Die "Ökosteuer" dient nur in geringem Maß den Energie- und weiteren Umweltprojekten sondern wird vorrangig Budgetkrisen (z.B. bei Tierseuchen) geopfert.

* Durch die "Tobin Tax" könnten zwar ruinöse Finanzspekulationen und -transaktionen eingeschränkt werden. Bedenklich ist, daß nationale und internationale Autoritäten diese Gelder so administrieren können, daß diese nicht wieder durch neoliberale und korrupte Institutionen und Unternehmer unterlaufen werden. Selbst eine Finanzierung von UNO-Behörden und -Projekten setzt deren überfällige Radikalreform voraus.

* Die Kampagne "Schuldenerlass 2000", initiiert von entwicklungspolitischen und kirchlichen Organisationen des "Nordens" als ein Good-will-Anstoß für die Regierungen der Geldgeberländer, brachte bis jetzt nicht den erforderlichen Durchbruch.

* Enttäuscht davon schlossen sich organisationsstarke Initiativen im "Süden" zur Kampagne "Jubilee South" zusammen, die sich radikalisierte und einen sofortigen Stop aller Schuldenrückzahlungen fordert.

* Mit ihnen verbunden geht das Netzwerk "Ecological Debt" noch einen entscheidenden Schritt weiter. Es fordert vom reichen "Norden" Kompensationen für alle Schäden, die seine Unternehmungen im ökologischen und sozialen Bereich des "Südens" angerichtet haben. Den Initiatoren ist bewußt, daß das Ausmaß sowohl die Zahlungskraft der Schuldner weit übersteigt, aber auch daß manche der Schäden irreparable Dimensionen erreicht haben.

Wir müssen befürchten, daß die absehbaren langwierigen Verhandlungen in Zeiträume reichen, in denen sich die jetzt schon gehäuft auftretenden "Vergeltungsaktionen des Ökosystems" zu möglicherweise unaufhaltsamen globalen Zerstörungsprozessen ausweiten können wie sie u.a. Günter Anders schon 1956 in "Die Antiquiertheit des Menschen" beschrieb.

Matthias Reichl

Begegnungszentrum für aktive Gewaltlosigkeit, Wolfgangerstr. 26, 4820 Bad Ischl, Tel. 06132-24590, e-mail: info @ begegnungszentrum.at, www.begegnungszentrum.at

Buchtipps:

Andreas Berndt/ Gerlinde Breiner/ Martina Kirchmayr/ Thomas Roithner (Hg.): Der totale Markt. Gefahr für Sozialstaat und Demokratie. 2001 ÖGB Vlg., öS 260,-

José Bové/ Francois Dufour: Die Welt ist keine Ware. Bauern gegen Agromultis. 2001 Rotpunktverlag, öS 219,-

Edward Goldsmith/ Jerry Mander (ed.): The Case Against the Global Economy & For a Turn Towards Localization. 2001 Earthscan Publ., ISBN 1 85383 742 3, £ 14.95

Maria Mies: Globalisierung von unten. Der Kampf gegen die Herrschaft der Konzerne. 2001 Rotbuch Vlg., DM 26,-

Maria Mies/ Claudia von Werlhof (Hg.): Lizenz zum Plündern. Das multilaterale Übereinkommen über Investitionen >MAI<. Globalisierung der Konzernherrschaft - und was wir dagegen tun können. 1998 Rotbuch Vlg.

Ergänzende Texte:

"Das Neue an der weltweiten Antiglobalisierungsbewegung ist vor allem die Suche nach Wiedergewinnung der Kontrolle über die unmittelbaren Lebensbedingungen. Die Menschen wollen nicht, dass ihr Leben von irgendwelchen fernen Chefetagen transnationaler Konzerne bestimmt wird. Sie suchen eine Wiederverwurzelung in solidarischen, zuverlässigen, nicht nur an Profit orientierten, überschaubaren Gemeinwesen und die Wiederversöhnung mit der Natur. Dies alles und mehr fängt auf der lokalen Ebene an und verlangt zunächst die Kontrolle über die lokalen Verhältnisse. Da diese lokalen Verhältnisse aber, wie am MAI (Multilaterales Abkommen über Investitionen) am Kampf gegen die WTO (Welthandelsorganisation), Weltbank und IWF (Internationaler Währungsfond) klargeworden ist, von den transnationalen Konzernen und den sie stützenden Politikern in Geiselhaft genommen sind, reicht eine Beschränkung auf eine "Lokale Agenda 21" nicht aus. Denn diese lokale Agenda wird permanent von der globalen Agenda konterkariert. Die "Globalisierung von unten" verbindet daher in vielen Ländern bereits jetzt den Kampf auf der lokalen mit dem auf der globalen Ebene...

Die WTO, die Weltbank und andere Institutionen können diese "Zivilgesellschaft" heute nicht mehr ignorieren. Sie wissen, dass Menschen, die "Politik in der ersten Person" betreiben, ihre "globalen Spiele" wenn nicht verhindern, so doch empfindlich stören können. Für die "global players" ist besonders irritierend, dass immer neue Gruppen und Bewegungen entstehen, mit immer fantasievolleren Namen, die nicht in das Muster bekannter hierarchischer Organisationen passen. Viele wenden Methoden der direkten sozialen Aktion an, auf die Ordnungskräfte nicht vorbereitet sind..." (S. 19f)

"Ich habe schon vor Jahren nachgewiesen, dass das Mythos der "nachholenden Entwicklung" ein großer Betrug ist. Denn in einer kapitalistisch-patriarchalen Weltwirtschaft können die einen sich nur dadurch "entwickeln, wachsen, reich werden", dass sie andere kolonisieren, hinunterentwickeln, berauben und ausbeuten (Mies 1988, Shiva/Mies 1995). Die "anderen" sind nicht nur die so genannte Dritte Welt, sondern auch Subsistenzbauern, Handwerker, Menschen im so genannten "Informellen Sektor", vor allem aber Frauen weltweit und nicht zuletzt die Natur. (S. 202f)

Maria Mies (Deutschland)
aus: Globalisierung von unten. 2001 Rotpunkt Vlg., S. 19

"Lasst euch nicht als alternative Experten durch diese Institutionen vereinnahmen und manipulieren. Sie saugen euch aus und entziehen euch die Energie für einen effektiven Widerstand und für die Arbeit an der Realisierung alternativer Konzepte. Wir dürfen uns nicht nur auf einzelne Phänomene konzentrieren, sondern müssen das System als Ganzes herausfordern, die Legitimation der transnationalen Konzerne und insbesondere die Dominanz der USA infrage stellen."

Walden Bello, philippinischer Soziologe und Gründer des Instituts "Focus on the Global South" (Thailand)

aus: "From Melbourne to Prague: the struggle for a deglobalized world". Sept. 2000

(Published on the internet by Matthias Reichl 10.01.2007)

Zu USA - Terror - Kriege siehe auch Information from the War Resisters' International office

Weitere Texte zu Globalisierung

home