Von Global zu Lokal
Globalisierte Gefahren - lokaler, konstruktiver Widerstand
Helena Norberg-Hodge nützte das Treffen "20 Jahre Alternativer
Nobelpreis" in Salzburg im Mai 1999 um bei den Kolleginnen und Kollegen
für eine Zusammenarbeit mit der Kampagne "From Global to Local"
zu werben, die sie mit ihrer "International Society for Ecology and Culture
(ISEC)" organisiert. Viele dieser angestrebten Ziele sind auch wichtige
Elemente in der alltäglichen Praxis anderer Projekte und Bewegungen:
Global:
Die Weigerung internationale Verträge - wie das MAI - abzuschließen, welche eine weitere "Liberalisierung" von Handel und Investments anstreben.
Neuverhandlung bestehender Verträge - wie GATT und den Maastricht-Vertrag der EU - mit dem Ziel, die demokratische Kontrolle über die wirtschaftliche Planung wieder herzustellen.
Verlagerung der Steuerbelastung auf Arbeit, um stattdessen Umweltbelastung und Energieverschwendung zu bestrafen.
Umlenken von Subventionen und andere Unterstützungen, die derzeit unfaire Vorteile für riesige transnationale Unternehmen bringen.
Lokal:
Unterstützung der Landwirtschaft durch lokale Märkte und durch einen Einkauf der Konsumenten dirket bei den Erzeugern.
Lokale Tauschkreise (LETS), die gegenseitige Leistungen ohne Geldmittel organisieren.
Lokale Währungen, durch die Gemeinden ihre Abhängigkeit von der nationalen (und internationalen Ökonomie) reduzieren.
Das Gespräch mit Helena motivierte übrigens einige Konsumenten aus
Salzburg (mit unserer Unterstützung) eine "Global-Lokal"-Initiative
zu starten.
Helena Norberg-Hodge studierte vor über zwanzig Jahren in Ladakh (nördlich
des Himalaja, im mehrheitlich buddhistischen Distrikt Leh) die Sprache und Lebensweise
der damals noch völlig unberührten Kultur der Ureinwohner. Trotz extremer
klimatischer Bedingungen führten die Ladakhis dank nachhaltiger Ackerbaumethoden
und aufgrund eines funktionierenden Sozialgefüges ein fröhliches Leben.
Im Laufe der Jahre hat Norberg-Hodge die zerstörerische Kraft von Tourismus
und Entwicklung im westlichen Sinn erlebt, und sie wurde zur vehementen Kritikerin
der Konsumgesellschaft. Helena Norberg-Hodge gründete 1978 das "Ladakh-Projekt",
eine Vereinigung von Ladakhis und Menschen aus dem Westen, die mit angepaßter
Solartechnik, regionalen Landwirtschafts-, Schul-, und Gesundheitsprojekten
den Weg der "sanften Entwicklung" aufzeigt und unterstützt. Sie
arbeitet auch bei der Zeitschrift "The Ecologist" mit, u.a. bei der
Schwerpunktnummer "Beyond the Monoculture: Shifting from Global to Local".
Basierend auf den Theorien der kritischen Wirtschaftswissenschafter Ernst
Friedrich Schumacher ("Small ist beautiful") und Leopold Kohr ("Die
überentwickelten Nationen") lautet Helenas Botschaft: Die Konzentration
der wirtschaftlichen Macht in den Händen einiger weniger, weltweit "regierender
Konzerne, führt zur Entdemokratisierung, zu wachsender Verunsicherung und
in der Folge zu Fundamentalismus und Faschismus. Die Gleichschaltung von Werbung
über Satellitenprogramme in die entlegendsten Dörfer der dritten Welt
weckt künstlicher Bedürfnisse vor allem bei Jugendlichen, die ihre
traditionellen Kulturen verlassen und in die Slums der Großstädte
ziehen. Das sei eine Art von Kolonialisierung, mit der einst autarke Kulturen
abhängig gemacht werden, stellt Helena Norberg-Hodge fest:
"...Ich glaube, man kann überleben, indem man eine andere Kultur dort aufbaut, wo man lebt. Deshalb versuchen wir in unserem Institut, Menschen dabei zu unterstützen, mit einer Gruppe alternative Projekte zu starten. Am Anfang gibt es sehr viele Fragen. Man muß eigentlich sein Leben radikal ändern. Wir haben so viel Propaganda gegen biologische Anbaumethoden, erneuerbare Energie oder gesunde Ernährung, daß fast alles, woran wir glauben, das Gegenteil vom dem ist, was nottut. Deshalb haben wir Materialien erarbeitet, die wir herzeigen. In westlichen Ländern, aber auch in Asien gibt es Projekte, in Burma, in Nepal, in Thailand, Korea, in vielen Ländern. Auch in Amerika haben wir viel initiiert.
Es gelingt dann, im Kleinen eine neue Kultur zu schaffen, indem man aus dem
Konsumverhalten aussteigt, mehr zusammen lebt und kocht, miteinander im Garten
arbeitet - aber nicht nur das: meist wird schnell deutlich, daß man sich
gegen die bestehenden Wirtschaftstrukturen wehren muß. Und damit wird
man politisch.
Immer wieder muß man betonen: wenn die wirtschaftlichen Strukturen des
steten Wachstums im Westen auf Kosten der Umwelt und der Dritten Welt so bleiben,
dann geht das Leben kaputt. Wir können auch nirgendwohin fliehen, weil
Flora, Fauna und das Klima leiden. Deshalb ist es besser mit offenen Augen dagegen
zu arbeiten. Doch man muß wissen: das Projekt ist groß, es ist schwierig,
vielleicht wird man nicht gewinnen.
Dieser komplexe Weg des 'Ausstiegs' ist auch deshalb so schwierig, weil man
auf völlig gegensätzlichen Gebieten aktiv sein muß. Auf der
einen Seite muß man die Wirtschaftsstrukturen analysieren. Das ist nicht
so kompliziert, aber man muß den Mut haben und darf nicht auf 'Experten'
warten. Aktivist(in) sein heißt vor dem Comupter zu sitzen und viel zu
schreiben. Und gleichzeitig muß man die spirituelle, nichtanalytische
Seite durch das Verhältnis zur Natur und zur Gemeinschaft entwickeln. Und
die Balance zu finden, ist nicht leicht. Aber im Ganzen ist es das Beste, was
wir tun können...
Ich versuche immer zu zeigen, daß es keine links/rechts Polemik ist,
und auch nicht nur 'grüne' Argumente sind, die oft so klingen, als ob man
Umwelt schützen wollte, aber gegen die Menschen ist. In England z.B. werden
die Medien offener für unsere Ideen. Die ganze Diskussion um die Gentechnologie
hat da etwas bewegt. Die Menschen sind so empört und verstehen jetzt, daß
eine Regierung, die den Bürgern gentechnisch veränderte Lebensmittel
per Gesetz verordnen will, korrumpiert ist. Man beginnt auch langsam, an der
Wissenschaftsgläubigkeit zu zweifeln. Jetzt nach zwanzig Jahren der Verschwörung
zwischen Großindustrie und Regierung bricht da etwas auf...
Es ist heute modern, nur über Probleme zu reden. Das klingt dann so radikal,
'es ist so ernst mit der Armut, es ist so schlimm,' - und man redet nie über
den Hintergrund. Also ich glaube, Menschen haben Angst. Angst vor Veränderung,
Angst um Arbeitsplätze... Aber was mir wichtig ist: zu zeigen, daß
große Regierungen und große Konzerne die Arbeit wegnehmen, Steuergelder
wegnehmen - große Konzerne zahlen kaum Steuern - daß also diese
Verarmung 'gemacht' ist und mit der Naturzerstörung zusammenhängt.
Die Gefahr liegt in der Größe und in der Unüberschaubarkeit,
auch in der Unüberprüfbarkeit von Strukturen. Wenn man das verständlich
macht, wird es immer stärkere Bewegungen dagegen geben...
Ich bin optimistisch. Die großen Probleme, die jetzt die Welt so schnell
zerstören, haben nichts mit dem Menschen 'von Natur aus' zu tun, sondern
viel mehr mit Institutionen, die aufgebaut wurden und die jetzt das System weiterführen.
Viele Politiker sind wirklich davon überzeugt, daß Wachstum das Wichtigste
ist, und sie fühlen sich verantwortlich für die Arbeiter - aber sie
scheuen sich, das in einem größeren Zusammenhang anschauen und sehen
nicht die arbeitsplatzvernichtende Dynamik dieses unnatürlichen Wachstums
um jeden Preis. Deshalb müssen wir Informationen weitergeben. Und ich stelle
immer wieder fest, daß es in allen Organisationen auch engagierte Menschen
gibt, die nicht nur wissen, daß es anders gehen sollte, sondern die auch
etwas dafür tun. Das gibt sehr viel Hoffnung...
Nach 20 Jahren Aktivismus in vielen Ländern muß ich sagen: es ist
fast unmöglich, innerhalb des Systems etwas zu ändern und Mensch zu
bleiben. Ich glaube, wir von der 'Graswurzelbewegung' müßten mehr
Geduld für diese Leute haben, denn strukturell ist es fast unmöglich,
in der Natur und im ökologischen und psychischen Gleichgewicht zu leben,
und dabei in die Politik und in die Medien zu kommen. Wichtig sind heute schnell
agierende, analytische Menschen, die sich mit dem System konfrontieren. Nur
müssen die 'genährt' werden von Weisheit und Spiritualität, -
oft genügt es schon, mit solchen Leuten in engem Kontakt zu bleiben.
Man müßte auch alternative Mediennetzwerke aufbauen um der Propaganda entgegenzuwirken. Denn das, was jetzt durch große Konzerne gemacht wird, ist so unmenschlich, so gefährlich, und es ist so viel Geld im Spiel, daß man leicht das Denken zerstören kann. Innerhalb von Shell redet man zum Beispiel über Umweltprobleme, und man macht Yoga für die Angestellten, und Reklame mit kleinen Kindern, - aber was macht Shell wirklich?
Ich denke, die Naivität ist gefährlich."
(Auszüge aus einem Interview von Anna Lesnik, Ende Mai '99 in Salzburg,
Ergänzungen: Matthias Reichl)
Das ganze Interview findet ihr in webpage: norberg-h2
Helena Norberg-Hodge: Leben in Ladakh. 1993, Herder TB 4204, öS 138,-
Helena Norberg-Hodge: Shifting Direction: From Global Dependance to Local Interdependance. 1998, ISEC und weitere Publikationen von ISEC.
Helena Norberg-Hodge/ Peter Goering/ John Page: From the Ground up. Rethinking
Industrial Agriculture. 2000 ZED Books. £ 10.00
Adresse: ISEC, Apple Barn, Week, Dartington, Devon TQ9 6JP, GB, Fax ++44-1803-868651,
e-mail: isecuk@gn.apc.org
(Published on the internet by Matthias Reichl 29.01.2002)
siehe auch Kampf und Kontemplation