Kampf und Kontemplation

für eine Zukunft, die aus der Vergangenheit lernt

Anna Lesnik sprach mit der Ladakh-Expertin und Umweltaktivistin Helena Norberg-Hodge anläßlich der Tagung "20 Jahre Alternativer Nobelpreis" in Salzburg (Mai 1999) über die zerstörerische Dynamik der Konsumgesellschaft und neue Ansätze zu Ökologie und Spiritualität.

Helena Norberg-Hodge studierte vor über zwanzig Jahren in Ladakh (nördlich des Himalaja, im mehrheitlich buddhistischen Distrikt Leh) die Sprache und Lebensweise der damals noch völlig unberührten Kultur der Ureinwohner. Trotz extremer klimatischer Bedingungen führten die Ladakhis dank nachhaltiger Ackerbaumethoden und aufgrund eines funktionierenden Sozialgefüges ein fröhliches Leben. Im Laufe der Jahre hat Norberg-Hodge die zerstörerische Kraft von Tourismus und Entwicklung im westlichen Sinn erlebt, und sie wurde zur vehementen Kritikerin der Konsumgesellschaft. Helena Norberg-Hodge gründete 1978 das "Ladakh-Projekt", eine Vereinigung von Ladakhis und Menschen aus dem Westen, die mit angepaßter Solartechnik, regionalen Landwirtschafts-, Schul-, und Gesundheitsprojekten den Weg der "sanften Entwicklung" aufzeigt und unterstützt. Inzwischen gibt es weltweit ähnliche Projekte, die im Rahmen ihrer "Internationalen Gesellschaft für Entwicklung und Kultur" (in England), initiiert und begleitet wurden. Für ihr Engagement erhielt die gebürtige Schwedin 1986 den "Right Livelihood Award", den "Alternativen Nobelpreis".

Basierend auf den Theorien der kritischen Wirtschaftswissenschafter Ernst Friedrich Schumacher ("Small ist beautiful") und Leopold Kohr ("Die überentwickelten Nationen") lautet die Botschaft Helena Norberg-Hodges: Die Konzentration der wirtschaftlichen Macht in den Händen einiger weniger, weltweit "regierender” Konzerne, führt zur Entdemokratisierung, zu wachsender Verunsicherung und in der Folge zu Fundamentalismus und Faschismus. Die Gleichschaltung von Werbung über Satellitenprogramme in die entlegendsten Dörfer der dritten Welt weckt künstlicher Bedürfnisse vor allem bei Jugendlichen, die ihre traditionellen Kulturen verlassen und in die Slums der Großstädte ziehen. Das, so Norberg-Hodge, sei eine Art von Kolonialisierung, mit der einst autarke Kulturen abhängig gemacht werden.

Helena Norberg-Hodge fordert ein Moratorium für Subventionen an das "big business” und für internationale Verträge wie das MAI-Abkommen. Dezentrale Projekte mit angepaßter Technologie, Aktivitäten gegen die Medienkonzentration und Gleichschaltung von sozialen Strukturen, der unermüdliche Kampf gegen undurchschaubare Regulierungen, und gleichzeitig der Aufbau von alternativen Gemeinschaften sind ihr Programm für die Zukunft.

Frage: Warum sind Sie vor mehr als 20 Jahren nach Ladakh gegangen und immer wieder dorthin zurückgekehrt?

Helena Norberg-Hodge: Ich war Sprachwissenschaftlerin und wollte die Sprache studieren. Als ich nach Ladakh ging, war ich eine Außenseiterin. Es gibt das in der westlichen Kultur, daß man so ein bißchen intellektuell und Außenseiter ist. Ich bin in Schweden aufgewachsen, habe in Deutschland und Österreich, in England und Amerika Sprachen studiert habe, und dann in Frankreich gelebt. Aber Ladakh hat mich noch mehr zur Außenseiterin gemacht. Ich stand plötzlich außerhalb der westlichen Welt. Wenn ich das heute betrachte, dann hat das vor allem mit dem Verhältnis zur Natur zu tun. In Ladakh habe ich eine naturnahe Kultur kennegelernt, und das bedeutete für mich auch, daß man näher an die menschliche Natur geht. Und letzten Endes ist das Spiritualität. Die Beziehung zwischen Menschen und zwischen Mensch und Natur, die Liebe und das Mitgefühl, das ist das Essentielle in allen Religionen. Doch bei uns glaubt man, die spirituelle Seite ist etwas Getrenntes, eine andere Ebene. Es wird " weg vom Leben" gesehen. Und deshalb ist es so wichtig, daß wir heute verstehen, was ich in Ladakh erlebt habe: das Körperliche und das Spirituelle, das ist Eins.

Frage: In ihrem Buch "Leben in Ladakh"* beschreiben sie die sozialen Strukturen, die Ackerbaumethoden, die religiösen Traditionen der Ladakhis. Was hat sie am tiefsten beeindruckt?

Norberg-Hodge: Was mich Ladakh in tiefstem Sinne gelehrt hat, würde ich allen Menschen im Westen raten: eine spirituelle Seite zu entwickeln. Aber nicht über Gurus, die etwas lehren, sondern durch eine direktes Verhältnis zur Natur. Wenn man den Kindern helfen könnte, ihre Beziehung zur Natur zu entwickeln. Nicht im Wettbewerb mit anderen Kindern - Wettbewerb kann da viel zerstören - aber mit den Kindern in die Berge gehen, sie lehren, Pflanzen und Tiere zu beobachten, das kann so heilend sein und so stark das Leben verändern, auch bei Erwachsenen. Es gibt z.B. ein Projekt in Amerika, bei dem eine Frau mit kriminellen Männern in einem Gefängnis einen Garten angelegt hat. Innerhalb von wenigen Monaten sind diese Männer weicher und fröhlicher geworden sind, in dem sie das Wachsen und Werden hautnah erlebt haben. Es ist kein Zufall, daß ich "weich" sage, denn es hat etwas mit dem "weiblichen Prinzip" zu tun und das bedeutet auch: nicht nur etwas gestalten, sondern auch etwas empfangen und fühlen. Es ist einfach, was ich von Ladakh gelernt habe, so daß viele Leute meinen: das ist zu einfach. Aber wenn ich so herumschaue: es gibt nicht viele Leute, denen es bewußt ist, wie einfach eigentlich der Weg sein könnte. Größere Freude und mehr Gleichgewicht durch ein einfaches, naturnahes Leben.

Die zweite wichtige Erfahrung aus Ladakh, die nicht so einfach umzusetzen ist: Wir müssen wieder echte Gemeinschaften und tiefere Beziehungen zu mehr Menschen aufbauen. Um uns in spiritueller und psychologischer Weise zu stärken, müssen das lokale Gemeinschaften sein. Es ist sehr hilfreich mit jemandem am Telefon zu reden, oder über Internet. Aber wir brauchen alternative Lebenskonzepte. Das sollte damit beginnen, über Kinder nachzudenken. Denn wir vergessen oft in unseren Diskussionen über das Leben, was ein Kind braucht. Fangen wird damit an, werden die notwendigen Schritte deutlich. Das Kind kann sich nicht alleine das Leben gestalten, es braucht Hilfe. Am Beispiel von Ladakh: ein Kind braucht viele, viele Erwachsene um sich. Nicht nur Menschen, die das Kind tragen und pflegen und hegen, sondern auch jemand, der mit ihm spricht. Damit das Kind das Bewußtsein erhält, ein Teil einer Gesellschaft zu sein, damit ein lebendiger Prozeß zwischen Menschen stattfindet. In Ladakh hatte jede Mutter ungefähr zehn Helfer. Ein fünfjähriger Bruder, ein achzigjähriger Großvater oder eine Nachbarin - ungefähr 10 Leute waren da, jeden Tag.

Wenn man diese Situation gesehen hat und dann zurückkommt in den Westen und sieht, was es für eine Mutter bedeutet, so isoliert ein oder zwei Kinder zu haben, dann fühlt man: dadurch werden wir krank. Wir sind alle geistig krank. Fast niemand hat heute diesen Vorteil, in einem größeren sozialen Gefüge aufzuwachsen.

Frage: Wie gehen Sie mit der großen Diskrepanz zwischen den Erfahrungen in Ladakh und der Entwicklung der westlichen Welt um?

Norberg-Hodge: Das ist sehr schwierig. Ich kann in der westlichen Welt nur "funktionieren", weil ich meine Erfahrungen aus Ladakh weitergebe. Ich kann mich hier nicht anpassen. Mein Mann und ich haben viele Jahre weit weg von der Industriegesellschaft gelebt - die Hälfte des Jahres in Ladakh und in Andalusien. Sehr schön, sehr alternativ, sehr primitiv. Wenn man so gelebt hat, ist es schwierig, im Westen zufrieden zu sein. Man lebt hier so isoliert. So wenig Musik, so wenig Zeit miteinander zu reden und Feste zu feiern. In Ladakh haben wir auch Tiere um uns herum, was so wichtig ist - aber was passiert heute? Diese Kulturen werden durch "Entwicklung" und Tourismus zerstört.

Frage: Genießen Sie nicht in Europa zumindest das kulturelle Leben?

Norberg-Hodge: Ich kann im Westen nur Aktivistin sein, denn ich genieße hier nicht, was alle genießen, z.B. Konzerte oder Ausstellungen. Ich liebe schon sehr lange die Natur. Ich mag Musik, aber nicht im Konzert, sondern wenn man selbst spielt, und ich liebe das Tanzen, aber nicht nur zuzuschauen und so formell. Alles in unserer Kultur ist zur Show geworden und darauf ausgerichtet, zu zeigen, wie gut man ist. Das bedeutet, daß man sich auseinandertrennt, und schöner ist es, in sich zu sein. Für mich ist es auch schmerzvoll, daß viele Menschen hier die wirtschaftliche und politische Struktur, die Hunger und Elend verursacht, nicht wahrnehmen wollen. Eine Art von Flucht ist im Gange.

Frage: Erleben nicht viele engagierten Menschen das Wirtschaftssystem so übermächtig, daß nur mehr die Sehnsucht nach Flucht bleibt?

Norberg-Hodge: Ich glaube, man kann überleben, indem man eine andere Kultur dort aufbaut, wo man lebt. Deshalb versuchen wir in unserem Institut, Menschen dabei zu unterstützen, mit einer Gruppe alternative Projekte zu starten. Am Anfang gibt es sehr viele Fragen. Man muß eigentlich sein Leben radikal ändern. Wir haben so viel Propaganda gegen biologische Anbaumethoden, erneuerbare Energie oder gesunde Ernährung, daß fast alles, woran wir glauben, das Gegenteil vom dem ist, was nottut. Deshalb haben wir Materialien erarbeitet, die wir herzeigen. In westlichen Ländern, aber auch in Asien gibt es Projekte, in Burma, in Nepal, in Thailand, Korea, in vielen Ländern. Auch in Amerika haben wir viel initiiert.

Es gelingt dann, im Kleinen eine neue Kultur zu schaffen, indem man aus dem Konsumverhalten aussteigt, mehr zusammen lebt und kocht, miteinander im Garten arbeitet - aber nicht nur das: meist wird schnell deutlich, daß man sich gegen die bestehenden Wirtschaftstrukturen wehren muß. Und damit wird man politisch.

Immer wieder muß man betonen: wenn die wirtschaftlichen Strukturen des steten Wachstums im Westen auf Kosten der Umwelt und der Dritten Welt so bleiben, dann geht das Leben kaputt. Wir können auch nirgendwohin fliehen, weil Flora, Fauna und das Klima leiden. Deshalb ist es besser mit offenen Augen dagegen zu arbeiten. Doch man muß wissen: das Projekt ist groß, es ist schwierig, vielleicht wird man nicht gewinnen.

Dieser komplexe Weg des "Ausstiegs" ist auch deshalb so schwierig, weil man auf völlig gegensätzlichen Gebieten aktiv sein muß. Auf der einen Seite muß man die

Wirtschaftsstrukturen analysieren. Das ist nicht so kompliziert, aber man muß den Mut haben und darf nicht auf "Experten" warten. Aktivist(in) sein heißt vor dem Comupter zu sitzen und viel zu schreiben. Und gleichzeitig muß man die spirituelle, nichtanalytische Seite durch das Verhältnis zur Natur und zur Gemeinschaft entwickeln. Und die Balance zu finden, ist nicht leicht. Aber im Ganzen ist es das Beste, was wir tun können.

Frage: Aus Diskussionen kennt man Ihre harte Kritik an Wirtschafts- und Medienkonzern - welche Reaktionen gibt es darauf?

N: Ich versuche immer zu zeigen, daß es keine links/rechts Polemik ist, und auch nicht nur "grüne" Argumente sind, die oft so klingen, als ob man Umwelt schützen wollte, aber gegen die Menschen ist.

In England z.B. werden die Medien offener für unsere Ideen. Die ganze Diskussion um die Gentechnologie hat da etwas bewegt. Die Menschen sind so empört und verstehen jetzt, daß eine Regierung, die den Bürgern gentechnisch veränderte Lebensmittel per Gesetz verordnen will, korrumpiert ist. Man beginnt auch langsam, an der Wissenschaftsgläubigkeit zu zweifeln. Jetzt nach zwanzig Jahren der Verschwörung zwischen Großindustrie und Regierung bricht da etwas auf.

Frage: Diskutiert man nicht auch dabei nur bis zu einem gewissen Punkt, und redet wieder nicht über ökonomische Zwänge?

Norberg-Hodge: Ja, es ist heute modern, nur über Probleme zu reden. Das klingt dann so radikal, "es ist so ernst mit der Armut, es ist so schlimm," - und man redet nie über den Hintergrund.

Also ich glaube, Menschen haben Angst. Angst vor Veränderung, Angst um Arbeitsplätze... Aber was mir wichtig ist: zu zeigen, daß große Regierungen und große Konzerne die Arbeit wegnehmen, Steuergelder wegnehmen - große Konzerne zahlen kaum Steuern - daß also diese Verarmung "gemacht" ist und mit der Naturzerstörung zusammenhängt. Die Gefahr liegt in der Größe und in der Unüberschaubarkeit, auch in der Unüberprüfbarkeit von Strukturen. Wenn man das verständlich macht, wird es immer stärkere Bewegungen dagegen geben.

Frage: Sie sind für die Zukunft optimistisch?

Norberg-Hodge: Ja ich bin optimistisch. Die großen Probleme, die jetzt die Welt so schnell zerstören, haben nichts mit dem Menschen "von Natur aus" zu tun, sondern viel mehr mit Institutionen, die aufgebaut wurden und die jetzt das System weiterführen. Viele Politiker sind wirklich davon überzeugt, daß Wachstum das Wichtigste ist, und sie fühlen sich verantwortlich für die Arbeiter - aber sie scheuen sich, das in einem größeren Zusammenhang anschauen und sehen nicht die arbeitsplatzvernichtende Dynamik dieses unnatürlichen Wachstums um jeden Preis.

Deshalb müssen wir Informationen weitergeben. Und ich stelle immer wieder fest, daß es in allen Organisationen auch engagierte Menschen gibt, die nicht nur wissen, daß es anders gehen sollte, sondern die auch etwas dafür tun. Das gibt sehr viel Hoffnung.

Frage: Also doch den Weg durch die Institutionen antreten?

Norberg-Hodge: Nach 20 Jahren Aktivismus in vielen Ländern muß ich sagen: es ist fast unmöglich, innerhalb des Systems etwas zu ändern und Mensch zu bleiben. Ich glaube, wir von der "Graswurzelbewegung" müßten mehr Geduld für diese Leute haben, denn strukturell ist es fast unmöglich, in der Natur und im ökologischen und psychischen Gleichgewicht zu leben, und dabei in die Politik und in die Medien zu kommen. Wichtig sind heute schnell agierende, analytische Menschen, die sich mit dem System konfrontieren. Nur müssen die "genährt" werden von Weisheit und Spiritualität, - oft genügt es schon, mit solchen Leuten in engem Kontakt zu bleiben.

Man müßte auch alternative Mediennetzwerke aufbauen um der Propaganda entgegenzuwirken. Denn das, was jetzt durch große Konzerne gemacht wird, ist so unmenschlich, so gefährlich, und es ist so viel Geld im Spiel, daß man leicht das Denken zerstören kann. Innerhalb von Shell redet man zum Beispiel über Umweltprobleme, und man macht Yoga für die Angestellten, und Reklame mit kleinen Kindern, - aber was macht Shell wirklich?

Ich denke, die Naivität ist gefährlich.

Eine Kurzfassung mit Kommentar findet ihr auf webpage: norberg-h1

Helena Norberg-Hodge: Leben in Ladakh. 1993, Herder TB 4204, öS 138,-

Helena Norberg-Hodge: Shifting Direction: From Global Dependance to Local Interdependance. 1998, ISEC und weitere Publikationen von ISEC.

Helena Norberg-Hodge/ Peter Goering/ John Page: From the Ground up. Rethinking Industrial Agriculture. 2000 ZED Books. £ 10.00

Adresse: ISEC, Apple Barn, Week, Dartington, Devon TQ9 6JP, GB, Fax ++44-1803-868651, e-mail: isecuk@gn.apc.org

(Published on the internet by Matthias Reichl 29.01.2002)

siehe auch : Von Global zu Lokal

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