"Grünes Gewissen Brasiliens" ist tot
Naturbeobachter, Nobelpreisträger, Globalisierungskritiker Lutzenberger gestorben

"Als Kind konnte ich stundenlang in eine Pfütze oder einen Tümpel schauen, um Wasserflöhe, Mückenlarven und Kaulquappen zu betrachten. Es ist schlimm, dass Kinder heute kaum Gelegenheit haben, die Natur direkt zu erleben. Nach 75 Jahren "Dialog mit der Natur" starb der brasilianische Universalökologe José Lutzenberger am 14. Mai an Herzversagen.

Lutzenberger wurde 1926 als Sohn deutscher Einwanderer in Porto Alegre geboren, studierte in Brasilien und in den USA Agrarwissenschaften und arbeitetet 13 Jahre lang für den deutschen Chemie-Konzern BASF. Als dieser den Weg der Agrarchemie beschritt, stieg Lutzenberger aus und wurde zum schärfsten Kritiker der industriellen Landwirtschaft: "Moderne Bauern sind Traktorfahrer und Giftspritzer. Was wir Fortschritt nennen, ist der Weg in den Selbstmord."

Stattdessen suchte er den "Dialog mit der Natur" und fand zahlreiche Alternativen. Zum Beispiel empfahl er den Kleinbauern, das Unkraut zwischen den Kaffeestauden nicht mit teuren Herbiziden zu töten, sondern wachsen zu lassen und Schafe in die Pflanzungen zu schicken. Diese halten das Unkraut nieder, rühren aber den Kaffe nicht an. Dafür laden sie wertvollen Dünger ab. Das erhöht nicht nur die Gesundheit der Pflanzen sondern auch die Ernteerträge gegenüber industriellen Plantagen. Und nebenbei fallen noch Schafkäse und Wolle ab.

Auch auf anderen Gebieten war Lutzenberger kreativ: Er baute die erste abfallfreie Zellstoffabrik der Welt. Sein Einsatz für den Erhalt der Regenwälder trug ihm den Beinamen "grünes Gewissen Brasiliens" ein und machte ihn zum Pionier der Umweltbewegung in Südamerika. 1971 gründetet er die Umweltschutzorganisation AGAPAN und 1987 die Stiftung Gaia zur Verbreitung des ökologische Bewusstseins auf dem Kontinent. Ein Jahr später erhielt er den alternativen Nobelpreis.

Seine Wirken war so mächtig, dass er vom konservativen Präsidenten Fernando Collor 1990 als Umweltstaatssekretär ins Kabinett gerufen wurde. Zwei Jahre später wurde er jedoch des Amtes entkleidet, weil er die nationale Umweltbehörde IBAMA als "hundertprozentige Tochter des Holzhandels" bezeichnet hatte.

Mehr Erfolg hatte er mit Umweltpreisen, von denen er insgesamt 85 einheimste. Die Universität für Bodenkultur in Wien verlieh ihm 1995 das Ehrendoktorat. Lutzenberger hatte sich als interdisziplinärer und ganzheitlicher Denker weltweit einen Namen gemacht. Stets beklagte er, dass Wissen und Weisheit immer weiter auseinander drifteten: "Die Universitäten sind schon lange keine Universitäten mehr. Sie sind nur noch Fachhochschulen, die Fachidioten produzieren."

Manche sehen in ihm auch einen "Globalisierungskritiker der ersten Stunde". Beim ersten und zweiten Weltsozialforum in seiner Heimatstadt Porto Alegre war er als Workshop-Leiter zu finden. Das Lernen von der Natur war nicht nur sein Lebensmotto, es begründete auch seine Visionen: "Wenn wir zu einer Ethik der Ehrfurcht, nicht nur vor dem Leben, sondern überhaupt vor dem Kosmos kommen, dann können wir eine fantastische Zivilisation entwickeln."

Christian Felber
Buchtipp: "Wir können die Natur nicht verbessern: Reden und Aufsätze des brasilianischen Ökologen José Lutzenberger", 76 Seiten, Edition Siegfried Pater, Bonn 1996

(Published on the internet by Maria Reichl 6. 6. 2002)
siehe auch 1, 2, 3 , 4 , 5 , 6 , 7, 8, 9, 10,
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