Robert Jungk - als Mut-Macher

In Gesprächen mit Matthias Reichl (1983 und 1993/94)

Zu den Überlegungen für "eine neue Ethik" - wie sie auch José Lutzenberger formuliert - kommentiert Jungk Ende 1993 spontan: "Die Erwartungen sind oft so abstrakt und total, daß viele davor zurückschrecken. Es ist hilfreicher, wenn wir uns Schritt für Schritt und in Experimenten an die Ziele herantasten."

Robert Jungk, der Präsident der "Gesellschaft für bedrohte Völker Österreich" sagte mir in einem Gespräch am 18.2.1994 in Salzburg zum Boden-Problem: "Meine Forderung an alle Parteien und Institutionen: Gebt den Boden an die zurück, die ihn für das Leben nützen. Das Land soll jenen gehören, die es bebauen aber nicht verbauen. Wir brauchen wieder - wie zu Beginn des Jahrhunderts - eine Bewegung der Kleingärtner und Siedler in den Städten gemeinsam mit den Bauern auf dem Land und in Solidarität mit landlosen Bauern und indigenen Völkern in der 'Dritten Welt'."

Robert Jungk als Mut-Macher

1983

Matthias Reichl: In Österreich haben wir das Atomkraftwerk (AKW Zwentendorf) verhindert und daraus einen Aufschwung für die Anti-Atom- und die Alternativenbewegungen geschafft. Sind damit die Gefahren eines Atomstaates deiner Meinung nach gebannt oder schleichen sie sich auf anderen Wegen wieder herein? Was kann eine Parlamentspartei auch dagegen unternehmen?

Robert Jungk: Ja, diese Gefahr existiert real. Man darf heute nicht nur die Entwicklung der Atomtechnologie sehen. Sie ist nur ein Teil einer viel breiteren technologischen Entwicklung, die - wie sie heute gesteuert wird - immer mehr auf Zentralisierung hinzielt. Immer mehr Macht in immer weniger Händen, immer mehr Arbeitsleistung geleistet von immer weniger Köpfen und Händen. Diese gesamte Technologie zielt in die Richtung auf Zentralisierung. Und das bringt natürlich mit sich, daß die Leute, die von dieser Zentralisierung profitieren und diese zentralistischen Organisationen, Mechanismen und Apparate leiten, die Tendenz haben, alle anderen als störend anzusehen. Jeder, der eine eigene Meinung hat, jeder, der sich individuell äußern will, der nicht das, was von oben, von der Zentrale geplant, gesagt, angeordnet wird, mitmachen will, wird als störend empfunden und muß zur Räson gebracht werden.

Darum meine ich, daß die Gefahr des Totalitarimus nicht allein aus den Personen, den Ideologien zu erklären ist, sondern er ist die Folge der heutigen technologischen Entwicklung. Und wenn es uns nicht gelingt, diese technologische Entwicklung umzukehren, sie zu verändern und aus dieser zentralistisch tendierenden Richtung eine dezentrale Entwicklung zu machen, dann werden wir nicht erfolgreich sein. Das bedeutet aber, daß wir uns nicht damit begnügen dürfen, nur das Zentralistische zu bekämpfen. Denn damit hinken wir immer nur nach, sind wir rein defensiv und verlieren damit. Wir müssen darüber hinaus wesentlich mehr dezentrale Möglichkeiten entwickeln. Und das bedeutet die Entwicklung dezentraler Technik, neuer Betriebs- und Organisationsformen, neue gesellschaftliche Formen, die alle dahin tendieren müssen, daß sie nicht von einer Zentralstelle dirigiert werden.

M. R.: Du hast einmal in einem Interview gesagt, daß dir ein hoher Herr im österreichischen Unterrichtsministerium (in Bezug auf Bürokratie und öffentliche Meinung) sagte: 'Wir lassen die Leute in Watte rennen'...

R. J.: Ja, das war der Unterrichtsminister Piffl-Percevic...

M. R.: Das heißt, 'wir werden schon etwas für euch tun' - man macht Versprechungen und dann verläuft es sich wieder. Also wenn aktive Bürger einen - wenn auch beschränkten Einfluß in das Parlament hinein bekommen - bedeutet das, daß man dann versucht, mit den bürokratischen Techniken sie wieder zumindest einzubremsen. Oder sogar all das wegzunehmen, weil in der Praxis die Administration oft einflußreicher ist, als das, was auf gesetzlicher Ebene passiert. Wie sind dabei deine Erfahrungen auch in Österreich?...

R. J.: Ich habe hier sehr wenig Erfahrungen gemacht. Ich habe sehr oft was versprochen bekommen und dann hat man nichts gemacht. Man hatte mir versprochen, ich sollte ein Institut für kulturelle Zukunftsentwicklungen aufbauen. Doch nach (meiner Teilnahme an) der Demonstration gegen (den US-Präsidenten) Nixon (1968 in Salzburg) hat man das wieder abgeblasen. Da hat man viel geredet, und sie reden auch jetzt wieder darüber, daß sie mit mir Zukunftsprojekte machen wollen - ich glaube ehrlich gesagt nicht mehr recht daran. Aber es könnte ja sein...

Nein, ich meine, daß die Gefahr eigentlich immer da ist. Besonders in einem Land, in dem man, wenn man sich mit den Parteien und auch mit den Behörden gut steht, auch etwas erwarten kann. Daß man dann auch in jeder Weise Hilfe und Unterstützung bekommt, daß man gefördert wird. Er ist klar, daß dabei die Gefahr der Integrierung, der Vereinnahmung besonders groß ist - fast noch größer als in der Bundesrepublik - weil man durch solche Hilfen von der Gnade von oben abhängig wird. Es wird sehr viel Stärke bedürfen für die Alternativenbewegungen, sich auf diesem Honig nicht zu verfangen. Wenn auch manche zu ihrer Entschuldigung sagen werden, komme ich weiter, kommt dabei auch unsere Sache weiter. Da ist auch etwas dran. Man kann das furchtbar schwer unterscheiden.

Ich bin der Ansicht, daß man, wenn man Ideen hat, durchaus versuchen muß, diese auch in das Establishment hineinzutragen statt sie nur isoliert unter Freunden - und in einem Ghetto - zu verwirklichen. Man muß sich schon darum bemühen, die Ideen anderen nahe zu bringen. Aber man darf sich dabei nicht fangen lassen. Diese Gefahr ist eine typisch menschliche, denn heute haben so viele Menschen es sehr schwer. Daher sind sie froh, wenn sie irgendwo Anerkennung, Einfluß und Unterstützung finden, und das wird sicher auch für viele von den Alternativen zutreffen. Also hier gibt es Schwächen, die von einem zielbewußten Apparat sicherlich ausgenützt werden.

M. R.: Wir sehen es auch, daß ein Teil der Basisinitiativen Angst haben, offen für uns einzutreten, weil sie zum Teil von Subventionen abhängig sind, von anderen indirekten Mechanismen, davon, daß sie am Ort akzeptiert werden.

R. J.: Genau, genau - das ist sozusagen der tägliche Widerstand und das ist eben das außerordentlich Schwierige. Trotzdem bin ich der Ansicht, wenn das nicht wenigstens einige Leute versuchen, geht's nicht weiter. Denn das ganze System selbst ist durch die Haltung ja paralysiert. Das heißt, es ist schwer möglich etwas wirklich Neues in die gesellschaftliche Entwicklung hineinzubringen, weil alles Neue immer zunächst einmal diejenigen, die was zu sagen haben, vor den Kopf stößt. Jede Abweichung ist zunächst einmal genant und unbequem. Diejenigen, die denken, es läuft ja gut so - für die läuft es auch gut so. Daher geht es nicht entsprechend weiter.

Ich bin der Ansicht, es ist notwendig, daß es Menschen gibt, die den Mut zum Abweichen, zum Neuen haben. Die den Mut haben, sich eventuell verketzern zu lassen, die man für verrückt erklärt oder von denen man sagt, sie seien unseriös. In Wirklichkeit sind das alles nur Methoden, um das Neue zu verhindern. Und ich glaube, nur mit dem Mut zu diesem Neuen - trotz aller möglichen Beschimpfungen, die man erleidet - nur damit geht es weiter! Es werden ja letzten Endes - wenn man die Geschichte ansieht - diejenigen, die das Andere wollen, gewinnen. Denn sonst würde ja die Geschichte nicht weitergehen. Früher oder später sieht man dann ein, daß die Neue oder der Neuere Recht gehabt haben. Und dann schwenkt die Mehrheit dorthin ein. Und dann kriegen die Neuen ihre Denkmäler. Aber davon haben sie dann nicht mehr viel. Man soll denjenigen, die in ihrem Leben in die Ecke gestellt wer den, Mut machen und sagen: 'Du hör' mal zu, ein bißchen von dem, was man dir morgen als Anerkennung geben wird, das mußt du schon heute zu deiner eigenen Rückenstärkung verwenden'

M. R.: Wo siehst du für die Zukunft die Chancen aber auch die Schwierigkeiten einer internationalen grünen, alternativen Bewegung? Können wir die Ziele ohne eine tiefgreifende Gesellschaftsveränderung überhaupt erreichen und wie müssen wir die ansteuern?

R. J.: Ja, ich bin der Ansicht, wir können nicht warten, daß sich die Gesellschaft verändert. Ich meine, daß die Krisen, die es heute schon gibt und die sich immer mehr verstärken werden, uns genügend Gelegenheit geben, etwas Neues zu versuchen. Man wird ja nach neuen Ideen, nach anderen Haltungen suchen. Ich bin der Ansicht, daß die Vorstellung, daß man eine Revolution machen muß, völlig überholt ist. Denn die Gesellschaft knackt die Risse, die früher von den Revolutionen verursacht wurde. Sie werden jetzt von der Krise verursacht. Und in diese Risse hinein muß man etwas Neues setzen, etwas Neues pflanzen. Durch diese Risse hindurch kommt man in das Neue hinein. Ich bin der Ansicht, das ist die Rolle der internationalen - nicht nur grünen - Bewegungen.

Man darf nicht vergessen, daß es diese Bewegungen - und das weiß man in Europa viel zu wenig - auch in der Dritten Welt gibt. Auch in der Dritten Welt gibt es immer mehr Menschen, die sagen, 'wir wollen das westliche Modell nicht mehr akzeptieren'. Wenn wir sehen, wie der Westen in den Abgrund hineinsteuert, dann wollen wir dabei nicht mehr mitmachen, dann wollen wir diese Phase sozusagen überspringen. Wir haben also Milliarden potentieller Bundesgenossen in der Dritten Welt, die sich nach dem westlichen technokratischen Modell garnicht mehr orientieren können ohne damit auch unterzugehen. Obwohl natürlich ihre Eliten diese noch immer befolgen.

Aber unter den Gegenkräften gibt es immer mehr Menschen, die anders denken. Darum meine ich, daß eine der großen Hoffnungen dieser unserer Bewegung in der Dritten Welt liegt. Es gibt z.B. in Indien viele solcher Versuche - in der sogenannten Dialogbewegung, bei der Entwicklung alternativer, sanfter Technik, kommunaler und regionaler Autonomie und anderes mehr. Ähnliches beginnt sich in anderen Ländern der Dritten Welt zu entwickeln. Und das ist für mich die große Hoffnung, von daher kommt die große Unterstützung.

M. R.: Du hast vor kurzem in Nürnberg bei einem Tribunal der GRÜNEN über die Bewegung gegen Atomwaffen mitgemacht. Was ist dein persönliches Resümee aus der Veranstaltung und welche Strategien siehst du? Sind es eher Appelle und Demonstrationen oder gewaltfreie Aktionen und Blockaden? Wie können wir von Österreich aus diese Bewegungen unterstützen?

R. J.: Ich meine es wird zweifellos zu einer Steigerung ihrer Aktivitäten kommen. Und das allerwichtigste ist, daß die Intensivierung dieser Bewegungen in Richtung Gewaltlosigkeit geht. Wir werden eine große Gefahr zu bestehen haben, daß nämlich ein Teil der Bewegung ungeduldig werden wird und sagen wird, 'ihr seht ja, das nützt alles nichts, wir müssen jetzt losschlagen und müssen Gewaltakte vollziehen'. Ich warne davor, weil ich meine, das würde genau dem künftigen technokratischen Faschismus oder Atomfaschismus in die Hände arbeiten. Das würde genau jenen nützen, die einen Vorwand haben wollen, jede Gegenbewegung zu unterdrücken. Durch diese ganz gefährliche Phase müssen wir durchgehen.

Dabei muß es sich zeigen, daß wir fähig sind, auf die verschiedensten Weisen gewaltfrei weiter zu wirken. Es entwickeln sich dabei immer wieder neue Methoden. Es sind nicht nur die Methoden der Blockaden, des Steuerstreiks, der Arbeitsverweigerung. Auch die müssen nicht sofort zu etwas führen. Aber man muß etwas dabei bedenken - ich sehe immer wieder, daß in den Apparaten, in den Machtapparaten selber, Menschen anfangen zu zweifeln, weil sie einsehen, da stimmt doch etwas nicht, was wir machen. Wenn soviele Menschen schweigen, wenn soviele Menschen fasten, wenn soviele demonstrieren, Steuern verweigern, wenn das alles zu einer Massenbewegung wird, dann kann doch einiges nicht stimmen.

Für mich war der größte Eindruck in Nürnberg meine Begegnung mit Daniel Ellsberg (USA), den ich vorher schon dreimal getroffen hatte. Er, der ja selber einmal in diesem Establishment gesteckt ist, sagte: 'Ihr unterschätzt eure Wirkung auf die Herrschenden. Ich selber war ja drinnen und habe gemerkt, wie beunruhigt die sind über all diese Bewegungen.' Das muß man einrechnen. Man muß damit rechnen, daß bei denen, die heute noch ganz stark zu sein scheinen in Wirklichkeit sehr viel Zweifel vorhanden ist. Daß es darunter Leute gibt, die gerne umlenken möchten, die sehen, so kann es nicht weiter gehen.

Für mich ist ein Beispiel - Du weißt es ja - Larzac (Südfrankreich). In der Larzac- Bewegung war man sich seinerzeit klar drüber, daß auch in Paris soundsoviele, beeindruckt von dieser Bewegung, sich gesagt haben, so können wir auf Dauer nicht weitermachen. Das Wichtige ist nur, daß man geduldig bleibt. Und die Gefahr ist natürlich, daß man sagt, es bleibt uns keine Zeit mehr, wir können nicht geduldig bleiben. In Österreich, würde ich sagen, gibt es ja die bewaffnete Auseinandersetzung noch nicht. Daher meine ich, daß es wichtig ist, wenn Österreicher ihre Freunde in Süddeutschland und der Schweiz unterstützen. Natürlich müssen wir uns hier bemühen, gegen die Waffenexporte vorzugehen.

Die Gefahr der Ansteckung ist da. Die Gefahr, wenn eine konservative Welle durch die Welt geht, dann kann diese Welle auch Österreich erreichen. Und dann kann es sich unter Umständen ergeben, daß wir auch hier solche Entwicklungen wie in Deutschland bekommen. Aber ich glaube, solange das nicht der Fall ist, sollten wir unser Hauptaugenmerk darauf richten, den anderen zu helfen und - weil man noch nicht unter diesem Radikalisierungsdruck steht - Konzepte entwickeln von neuer Technik, neuen Lebensformen, neuen Widerstandsformen. Gerade weil einem das Wasser noch nicht zu bis zum Hals steht. Die verhältnismäßige Gelassenheit, die hier noch existiert muß man ausnützen.

M. R.: Du hast dich stark im alternativen Netzwerk und in gewaltfreien außerparlamentarischen Aktionen engagiert. Ist eine grüne, alternative Partei eine notwendige Ergänzung dazu oder paßt sie sich zu sehr dem parlamentarischen System an?

R. J.: Ich war ursprünglich der Ansicht, daß es schlecht sei, eine grüne Partei zu gründen. Weil bei jeder Parteibildung - und das erleben wir jetzt hier in Österreich auch wieder - gibt es besonders in diesen Parteien starke Persönlichkeitskämpfe, gibt es Gerangel um Posten, gibt es die Gefahr der Bürokratisierung. Ich war ursprünglich ganz dagegen, daß man eine grüne Partei gründen sollte - vor allem als es in Deutschland anstand - weil ich der Meinung bin, 'grün' müssen eigentlich alle Parteien werden. Und es muß eine grüne Bewegung geben auch außerhalb der Partei. Ich bin aber durch das, was in Deutschland geschehen ist, eigentlich eines Besseren belehrt worden. Ich bin heute der Ansicht, daß es doch wichtig ist - wie man dort sagt -, daß die grüne Bewegung auch ein Bein im Parlament hat, weil sie nur auf diese Art und Weise in den etablierten Medien, in der etablierten Öffentlichkeit überhaupt notiert wird.

Sie muß aber - und das scheint mir ganz wichtig zu sein - immer die nicht-parlamentarische Aktion für das eigentlich Wichtigere halten, den Kontakt zu den Menschen die nicht in Parteien gehen wollen. Die breitere Bewegung, auch gerade von solchen, die sich parteipolitisch weder engagieren noch organisieren wollen - z.B. Frauen, Jugendliche, alle diejenigen, die aus dem Netz des organisierten Parteiensystems herausgefallen sind oder garnicht hineingehen wollen. Auf die darf man nicht verzichten! Und ich würde sagen, daß mindestens 70% der Aktivitäten - ich würde nicht sagen außerparlamentarische - sondern Volksaktivitäten sein sollten. Und höchstens 30% sollten Partei-Aktivitäten sein.

Auszug aus dem Telefongespräch zwischen ROBERT JUNGK und MATTHIAS REICHL am 28.3.1983, 22h. Anlaß war die Kandidatur der Alternativen Liste Österreichs (Vorläuferin der GRÜNEN ALTERNATIVE) bei der Nationalratswahl 1983.

(Teilweise veröffentlicht im Rundbrief Nr. 48 (Juni 1988) des Begegnungszentrums für aktive Gewaltlosigkeit Bad Ischl, Wolfgangerstr. 26, A-4820 Bad Ischl, Tel./Fax 06132/24590. Copyright beim Interviewer Matthias Reichl.)

Siehe auch Homepage der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen, Salzburg:

http://www.jungk-bibliothek.at

(Published on the internet by Matthias Reichl 10.01.2007 ergänzt 06.07.2016)

siehe auch Gemütsfaschismus und Technofaschismus und Die Analphabetendemokratie

 

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